Mit BLOX hat Kopenhagen einen Ort bekommen, dessen hybride Nutzung keine Vorbilder hat. In der gläsernen Burg, die nach Plänen von OMA an der Uferkante des ehemaligen Hafens entstand, sollen sich planungsaffine Unternehmen austauschen, Touristen informieren und Menschen wohnen. Auch das Dänische Architekturzentrum und ein Fitnessstudio ziehen ein. Anfang Mai wurde das 27.000 Quadratmeter große Haus eröffnet.
Von Adeline Seidel und Friederike Meyer
Seit 2009 verzeichnet Kopenhagens Tourismussektor in ganz Europa das größte Wachstum und steht immer wieder auf den oberen Plätzen, wenn die lebenswertesten Städte der Welt ausgezeichnet werden. Doch noch vor 25 Jahren war Kopenhagen wirtschaftlich an einem Tiefpunkt, prägten Arbeitslosigkeit und Wegzug die Stadt. Erst mit dem Beschluss, die Hafenareale in der Innenstadt als Bauland zu verkaufen und so eine neue, fahrerlos operierende Metro zu finanzieren, begann die Kehrtwende. Für Aufschwung sorgte auch die rege Bautätigkeit, die durch die Ernennung zur Europäischen Kulturhauptstadt im Jahr 1996 angestoßen wurde. Die Stadt rückte ans Wasser, das Radwegenetz wurde ausgeweitet, man investierte in sozialen Wohnungsbau und Bildung, in kulturelle Einrichtungen und öffentliche Räume. Im Wasser der ehemaligen Hafenanlagen kann man inzwischen bedenkenlos baden.
Der Städtebau: Missing Link an der Uferkante
Doch nicht nur das: Bei all seinen Baustellen und Infrastrukturmaßnahmen hat sich die Stadt zudem Nachhaltigkeit verordnet: Bis 2025 will die Stadt CO2-neutral sein. Dieses Ziel wird zusammen mit der erfolgreichen Stadtentwicklung der vergangenen Jahrzehnte von einem aufwendigen Stadtmarketing begleitet, das Kopenhagen als Hauptstadt des Designs und der hohen Lebensqualität positionieren möchte. Mit Blox – einem Gebäude, dessen Nutzung zwischen Kultureinrichtung und Bürobau oszilliert – soll diese Marketingstrategie nun ihren baulichen Ausdruck finden.
Gut gewählt erscheint das Baugrundstück in prominenter Lage am Wasser zwischen der historischen Altstadt und den Neubauten entlang der Uferkante. 50 Jahre lang war es Park- und Restraum, zerteilt von einer Straße, die als eine der wichtigen Verkehrsadern der Stadt gilt. An der Uferkante ist Blox der „Missing Link“ zwischen den kulturellen Einrichtungen, die sich nordöstlich der Langebro-Brücke aufreihen – die Königliche Bibliothek von Henning Larsen von 1999 und das Neue Königliche Schauspielhaus von Lundgaard & Tranberg aus dem Jahr 2008 – sowie den Büro- und Hotelbauten südwestlich der Brücke.
Der Bauherr, der in keine Schublade passt
Auf dem Gebäude lasten hoch gesteckte Ziele: Blox soll nichts Geringeres sein als „Denmark’s world of architecture, design and new ideas“ – so formuliert es zumindest der Bauherr Realdania. Realdania ist eine Organisation, deren Struktur in keine Schublade passt. Viele sehen die unternehmensartige Stiftung zunächst mal als Heilsbringerin für das kulturelle Leben in Dänemark. Denn Geld von Realdania steckt in vielen großen und kleinen Bau-, Sanierungs- und Kulturprojekten im ganzen Land. Zu den großen in Kopenhagen gehören das Dänische Architekturzentrum (DAC), das Regenwasserückhaltekonzept am Sankt Annae Platz und das Aquarium „Der blaue Planet“. Realdania positioniert sich offiziell als philanthropische Organisation, die der Lebensqualität der Menschen verpflichtet ist und deshalb Architektur- und Stadtplanungsprojekte unterstützt. Andererseits wird Realdania bei Wikipedia aufgrund seiner Geschichte noch immer als Bank bezeichnet. Nicht ganz zu Unrecht: Um ihr Engagement zu finanzieren, ist die Organisation nämlich auch als Projektentwicklerin auf dem Immobilienmarkt tätig.
Die Dreifachrolle als kulturelle Gemeinwohlbringerin, Stadtentwicklerin und Finanzinstitut bringt Realdania jedoch nicht nur steuerliche Vorteile und eine gewisse unsichtbare Macht, die vermutlich in den Hinterzimmern der Genehmigungsbehörden verborgen bleibt. Sondern sie ermöglicht auch eine schnelle Umsetzung der Projekte, weil Finanzentscheidungen nicht von gewählten Politikern getroffen werden. Bei Realdania entscheidet ein Vorstand, der von den rund 150.000 Mitgliedern der Organisation gewählt wird. Mitglied kann werden, wer in Dänemark Immobilien oder auch nur ein Grundstück besitzt. Seit dem Gründungsjahr 2000 hat Realdania mehr als 3.350 große und kleine Projekte mit einem Finanzvolumen von 2,4 Milliarden Euro umgesetzt, 625 sind derzeit in Arbeit. Eine wichtige Bedingung: Projekte müssen immer in Kooperation mit anderen entstehen. Blox wurde in Zusammenarbeit mit der Stadt Kopenhagen umgesetzt und ist mit 270 Millionen Euro reinen Baukosten das bisher größte Projekt von Realdania.
Die Entscheidung, dass OMA das Projekt planen soll, fällte die Realdania-Leitung 2006 nach einer Art geladenem Interviewverfahren. Auch Behnisch und Partner, Lundgaard & Tranberg, 3XN, Renzo Piano und Herzog & de Meuron hatten daran teilgenommen. Entwürfe habe es dabei nicht gegeben, erklärt Realdania-CEO Jesper Nygård, stattdessen methodische Vorschläge für eine funktionale Lösung. OMA habe überzeugt, so Nygård, weil das Büro eine gute städtebauliche Idee für das ungewöhnliche Grundstück mit Durchgangsstraße geliefert hätte.
Die Architektur: Brutale innere Transparenz
Auf den ersten Blick wirkt Blox wie ein Cooperate-Bau aus den Nullerjahren und weniger wie ein kulturelles Zentrum, in dem kreative Köpfe zusammenkommen sollen. Minecraftartig würfelt sich die neue Landmarke in die Höhe. Die vielbefahrene Christians Brygge Straße tunnelt sich mitten durch den Bau, der bis vor zur Uferkante gerückt wurde. So grob der neue Platzhirsch zunächst erscheinen mag, er überrascht mit einem öffentlichen Raum von geradezu beschaulichem Maßstab, der zwischen dem grün schimmernden Volumen und den historischen Bauten der Bryghusgade entstanden ist und der – das sollte man in Kopenhagen nicht unterschätzen – durch die umgebenden Bauten relativ windgeschützt ist. Auch vom Autolärm hört man hier überraschend wenig. Da mag man es dem Bau sogar verzeihen, dass er am Wasser keinen attraktiven Aufenthaltsraum bietet.
Doch trotz des großzügigen Platzes fehlt es der trutzigen Glasburg an Zugänglichkeit. Wer hinein will, muss erst mal hinunter: Eine Treppenanlage samt Aufzug und Rolltreppen führt – mit dem Charme eines U-Bahn-Zugangs – zwei Geschosse hinab zum Foyer des Dänischen Architekturzentrums (DAC). Das Foyer ist zugleich eine Unterführung, dank der die Besucher unterhalb der Straße auf die Uferseite des Gebäudes gelangen können. Man erinnere sich: Die Straße führt durch den Bau. Fünf Geschosse gräbt sich das Volumen samt Tiefgarage mit 350 Plätzen in die Erde, fünf Geschosse stapelt es sich in die Höhe. Während der gesamten Bauzeit war die Straße befahren, das Gebäude entstand praktisch um sie herum – ein logistisch aufwändiges Unterfangen. Und nicht nur das: Auch die Konstruktion war äußerst komplex, da man ein Tragwerk entwickeln musste, das weite, stützenfreie Ausstellungsräume ermöglicht.
Während die Ausstellungsräume des DAC das Zentrum des Gebäudes einnehmen, sortieren sich Bürogeschosse, ein Café, ein Restaurant und andere multifunktionale Räume darum herum. Im Dachbereich befinden sich zudem 22 Wohnungen. Sie sind bis zu 130 Quadratmeter groß, erklärt Realdania-Projektleiter Peter Fangel Poulsen. Für Familien sind sie mit ihren vergleichsweise großen Bädern und wenigen, winzigen Zimmern kaum geeignet. Auch erstaunlich dunkel ist es hier, worüber selbst die großzügigen Dachterrassen nicht hinwegtrösten. Erschlossen werden die Einheiten über einen zugigen Laubengang, der um einen gemeinschaftlichen „Innenhof“ führt – aber wiederum fast gänzlich von den Sheddächern des Auditoriums eingenommen wird.
Auf die Frage, welche die allgegenwärtigen Qualitäten der Architektur sind, antwortet Ellen van Loon, Projektleiterin und Partnerin bei OMA, zügig: Höhe und Transparenz. Mit Höhe sind die unterschiedlichen, mitunter großzügigen Raumhöhen gemeint, die das Haus bietet und die durchaus zu interessanten Überschneidungen führen. Transparenz mag man von außen vermissen – das dunkelgrüne und weiße Glas verwehrt den Blick ins Innenleben. Doch im Inneren sorgt die allumfassende Vollverglasung für reichlich Einblicke ins muntere Treiben des „Hubs“ – vom Auditorium in die Büroräume, vom Treppenhaus ins Fitnessstudio, vom Restaurant ins Foyer. Visuelle Verbindungen zu schaffen, sei ein wichtiges Entwurfsziel gewesen, erklärt van Loon. Das mag zwar der Theorie nach stimmen und wenn man zum Beispiel von einem bestimmten Punkt im Restaurant einen knapp 50 Zentimeter großen Ausschnitt Wasser entdecken kann. Es verdient jedoch ebenso wenig wie die Durchsicht im Auditorium den Namen „Blickbeziehung“. Da beeindruckt es mehr, dass kein Dezibel Straßenlärm ins Innere dringt.
An vielen Details im Inneren ist die Handschrift von OMA erkennbar. Man könnte gar vermuten, dass alle Materialien, die je bei einem OMA-Bau verwendet wurden, hier zum Einsatz kamen: Streckmetall, das Decken und Wände in allen Größen und Ausführungen verkleidet, schwarzer Beton, glänzender Edelstahl, exponierte Stahlträger, ein golden glänzender Boden aus Messing und schwere, textile Vorhänge. Die Vielfalt ist jedoch weit weniger virtuos gefügt wie beispielsweise bei der Fondazione Prada in Mailand und anderen OMA-Projekten und erzeugt in ihrer leidenschaftslosen Überfülle schulterzuckende Langeweile.
Die Nutzer: Kuratiertes Netzwerk ausgewählter Institutionen
Das Interessante an Blox ist weniger das Gebäude als vielmehr das Programm: Nutzungsmischung, Nutzungsmischung, Nutzungsmischung! Man kann auch behaupten, das Nutzungsprogramm ist so gestaltet, dass jeder Nutzer vom anderen profitiert – und dies wiederum mindert das ökonomische Risiko des Betreibers. Neben Ausstellungsflächen, Fitnessstudio, Wohnungen, Shop und Restaurant bietet das Haus vor allem Büroflächen für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Organisationen, die im weitesten Sinne mit Stadtentwicklung und Planung zu tun haben.
Das Ganze firmiert unter dem Namen Bloxhub. Dahinter verbirgt sich ein Co-Working- Konzept, das mit einem kuratierten Netzwerk ausgewählter Institutionen kombiniert wird. Hier will man beweisen, dass möglich ist, was Wirtschaft und Politik immer wieder fordern: Branchenübergreifend querdenken und die Beteiligten so schneller zusammen- und damit vorwärtsbringen. 165 Mitglieder hat Bloxhub derzeit. Sie heißen „Solution Lab“ und „Smart City Lab“, es sind Tech-Unternehmen, Universitäten und auch 35 Architektur- und Ingenieurbüros. Sie können hier Strategietage für die Managementebene veranstalten oder andere Mitglieder zusammenrufen, um ein Problem zu lösen.
Die Räume – oder sagen wir besser: die Zonen – von Bloxhub sehen aus wie ein Arrangement im Concept Store. So ziemlich jeder namhafte Möbelhersteller schien einen Teil seines Sortiments beisteuern zu dürfen. Und nicht zu vergessen: Schallisolierte Besprechungsboxen und ein VR-Labor, große Bildschirme für Präsentationen, Bartresen und loungige Sofalandschaften – die dürfen in einem Großraumbüro heute nicht mehr fehlen. Insgesamt werden 550 Arbeitsplätze auf 10.000 Quadratmetern angeboten. Ein „FlexDesk“ für Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern kostet monatlich 6.000 Dänische Kronen (knapp 800 Euro), Start-Ups erhalten das Angebot für 4.000 Dänische Kronen (ungefähr 435 Euro).
Ein Mitglied im Bloxhub ist das Dänische Architekturzentrum (DAC). Hatte es im alten Haus noch jährlich 80.000 Besucher, erwartet er künftig 200.000. Dafür ist nun auch doppelt so viel Platz. Das DAC bespielt die zentrale Halle im Haus nebst angrenzender kleiner Säle und dem Auditorium. Mehr Wechselausstellungen und kleine Veranstaltungen soll es dort geben, aber auch große Ausstellungen sind geplant. Dabei stünden zunächst bekannte Namen im Fokus: Werkschauen von Ove Arup, BIG und Dorte Mandrup. Die Eröffnungsausstellung allerdings widmet sich einem gesamtgesellschaftlichen Thema, dem Wohnen. Parallel dazu bespielt Olafur Eliasson die „Schatzkammer“ – ein Raum mit goldenem Messingboden – mit einer Installation.
Viel Wunsch, viel Hülle
Man könnte behaupten, OMA hat der Stadt ein Bonbon gebaut. Mit einer harten, sichtabweisenden Schale und einem überraschenden Kern. Wer einmal die Treppe hinabgestiegen und sich in der gläsernen Transparenz wieder nach oben gearbeitet hat, wird im besten Falle belohnt mit neuen Ideen, kreativen Menschen und einer guten Aussicht auf die Stadt und das Wasser. Man könnte ob der brutalen inneren Transparenz aber auch skeptisch auf die Funktionalität schauen. Wenn die Mitarbeiter des DAC sich bereits zur Eröffnung fragen, wie das gehen soll, wenn die Ausstellungsbesucher den „Bloxhublern“ ständig auf die Schreibtische schauen können, möchte man vermuten, dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis erste Sichtschutzmaßnahmen montiert werden.
Wichtiger aber ist die Frage, ob Blox als gebautes Symbol für die Marke Kopenhagen überzeugt, die sich als bürgernahe, weltoffene und nachhaltige Stadt vermarktet? Für die nächsten Jahre sicherlich schon. Allein der Name seiner Architekten OMA und das DAC mit seinem Programm werden viele Besucher anlocken. Für das „Später“ ist allerdings auch vorgesorgt. Denn die Architekten haben ein Gebäude geschaffen, das räumlich so neutral und zugleich wandelbar ist, dass es sich – wie es Rem Koolhaas bereits in „Delirious New York“ beschreibt – jegliche Funktionen einverleiben kann.
Ob nun ein Co-Working Space die Büroflächen nutzt oder ein x-beliebiges Unternehmen ist vollkommen gleich. Ob ein Architekturzentrum die Räume mit Ausstellungen bespielt oder Läden ihre Waren anbieten, ob im Dachgeschoss Menschen wohnen oder ein exklusiver Wellness-Club entsteht – die hyperneutrale Architektur kann vieles aufnehmen. Blox würde dann vielleicht Boutox oder Blix heißen. Statt guter Ideen für die nachhaltige Stadt würden die Nutzer vielleicht eher Körperoptimierungstipps austauschen oder Geldvermehrungschancen berechnen. Das Gebäude wäre dann nicht mehr das ambitioniert aufgeladene Aushängeschild des Stadtmarketings, sondern ein ganz normales Geschäftshaus an der Uferkante wie die anderen Bauten südwestlich der Langebro-Brücke. Aber auch Kopenhagen wäre dann an einem anderen Punkt seiner Entwicklung.
Zum Thema:
Siehe auch Baunetzwoche #512 über BLOX, OMA und Kopenhagen.
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