Räumen wir zuerst mit zwei naheliegenden Missverständnissen auf, die man beim schnellen Blick auf Automobil und Architektur leicht haben könnte. Weder geht es hier um eine stramm ideologische Apologie oder Verdammnis des PKW. Noch um die Auswirkung des motorisierten Individualverkehrs auf die Praxis des Städtebaus im 20. Jahrhundert. Vielmehr hat man es mit einem überaus anregenden Buch zu tun, das anhand von neun Fallbeispielen dem „kreativen Konflikt“ (so der etwas generische Untertitel) zwischen Automobil und gebauter Architektur nachspürt.
Der Autor Erik Wegerhoff ist Kunsthistoriker, lehrt an der ETH Zürich und hat unter anderem zum Kolosseum und Italien im 18. und 19. Jahrhundert gearbeitet. Das vorliegende Buch ist seine Habilitationsschrift. Aber keine Angst: Das merkt man beim Lesen dankenswerterweise nicht. Denn aus dem akademischen Textformat hat der Wagenbach Verlag ein angenehmes, schön bebildertes und essayistisches Buch gemacht. Dieses spannt den Bogen von der frühen Autobahnplanung über die Spielstraße bis zur postmodernen Strada Novissima auf der ersten Biennale in Venedig 1980, von Le Corbusier über Peter Blake bis Peter Zumthor.
Wegerhoffs These zu einem Jahrhundert Auto und Architektur überrascht, denn er behauptet, dass das 20. Jahrhundert nicht eine Epoche zunehmender Be- sondern Entschleunigung sei! Letztlich habe nur die Generation der Futuristen voller avantgardistischer Naivität einen bedingungslosen Geschwindigkeitsrausch feiern können. Spätestens ab der Nachkriegszeit gab es so viele Autos, dass sowohl das Fahren als auch die räumliche Organisation der Fahrzeuge zum Problem wurde. Der Parkplatz etablierte sich als rationales und notwendiges Gegenstück zur lustvoll irrationalen Fahrt. Auch das Faible der postmodernen Architektur für Tektonik und Ordnungen sortiert Wegerhoff als einen Moment der Entschleunigung ein. In diesem Sinne ordnet er seinen Text in drei Großkapitel: „Beschleunigen“, „Schalten“ und „Abbremsen“.
Diese wenigen Gedankensplitter aus dem Buch vermitteln bereits ein ganz gutes Gefühl für die intellektuell anregende Perspektive Wegerhoffs auf den Themenkomplex. Das Buch ist Kunstgeschichte in ihrem besten Sinne, indem ästhetische Phänomene gesellschaftlich und mit genauem Blick auf das historische Material diskutiert werden – mit feiner Ironie, präziser Sprache und einer ganz eigenen Distanz zum behandelten Gegenstand, die viele Kunsthistoriker*innen pflegen. In diesem Kontext ist auch die ausführliche Analyse der ADAC Motorwelt als historische Quelle zu verstehen – die natürlich hochgradig originelle Fundstücke bereit hält und dem autoverrückten Deutschland einen skurrilen und kritischen Spiegel vorhält.
Text: Gregor Harbusch
Automobil und Architektur. Ein kreativer Konflikt
Erik Wegerhoff
240 Seiten
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023
ISBN 978-3-8031-3733-3
32 Euro
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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schlawuki | 14.12.2023 13:11 Uhrkaufen!
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