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21.09.2018
Bauhaus in Moskau
Ausstellung zu Hannes Meyer, Philipp Tolziner und Konrad Püschel
Von Sophie Jung
Sichtlich erbost über seinen Hinauswurf aus dem Bauhaus richtete Hannes Meyer in einem offenen Brief 1930 scharfe Worte an den Oberbürgermeister von Dessau, Fritz Hesse: „Was fand ich bei meiner Berufung vor? Ein Bauhaus, dessen Leistungsfähigkeit von seinem Ruf um das Mehrfache übertroffen wurde und mit dem eine beispiellose Reklame getrieben wurde. Eine Hochschule für Gestaltung, in welcher aus einem Teeglas ein problematisch-konstruktivistelndes Gebilde gemacht wurde. Eine „Kathedrale des Sozialismus“, in welcher mittelalterliche Kultur getrieben wurde mit den Revolutionären der Vorkriegskunst unter Assistenz einer Jugend, die nach links schielte und gleichzeitig selber hoffte, im gleichen Tempel dermaleinst heilig gesprochen zu werden.“
Gewiss sprechen diese Sätze von der persönlichen Beleidigung eines Geschassten. Sie sprechen auch von der tiefen Kritik eines bekennenden Sozialisten, der als Direktor des Bauhaus ein „wissenschaftlich orientiertes Bauen auf philosophisch-marxistischer Grundlage“ forderte und damit politisch scheiterte. Vor allem aber hat dieser Brief heute erstaunliche Aktualität. Denn schon 1930, als Hannes Meyer auf Anweisung der Landesregierung Anhalts seinen Direktorenposten räumen musste, rüttelte er kräftig an dem öffentlichen Bild des Bauhaus'. An einem Bild von einer Schmiede der puren, modernen Form, das bis heute Bestand hat.
Eine Ausstellung in Moskau, in der auch der offene Brief von Hannes Meyer zu sehen ist, soll dazu beitragen, der „Marke Bauhaus“ ein sehr viel komplexeres Bild entgegenzuhalten. In Vorarbeit auf das anstehende 100-jährige Gründungsjubiläum der Kunsthochschule im nächsten Jahr widmet sich die Schau Bauhaus-Imaginista-The Internationalist Architect – eine Koproduktion des Goethe-Instituts mit dem Berliner Haus der Kulturen der Welt und der Bauhaus Kooperation – im prominenten Garage-Museum den unbekannten Nebenerzählungen und biografisch-künstlerischen Verästelungen der Schule mit der UdSSR. Drei Personen stellen die Kuratoren Marion von Osten und Grant Watson vor: den Schweizer, Architekten und kurzweiligen Bauhaus-Direktor Hannes Meyer, sowie die beiden Bauhaus-Studenten Konrad Püschel und Philipp Tolziner. Alle drei lebten und arbeiteten in Russland der Dreißigerjahre und alle drei schreiben bis heute multiple Geschichten des Bauhaus' fort.
Hannes Meyer ist in der Moskauer Ausstellung die zentrale Figur. Direkt nach seinem Rausschmiss aus Dessau ging er in die russische Hauptstadt. Eine Gruppe von Bauhaus-Studenten folgte ihm, die „Brigade Meyer“. Meyer wurde in Russland Hochschullehrer, hielt Vorträge und wirkte an Siedlungsprojekten mit. Seine theoretischen Schriften, Skizzen und Piktogramme, die im Garage-Museum ausliegen, zeigen seine Auseinandersetzung mit der sowjetischen Wohnungsfrage. Er entwickelte Typenhäuser, Wohnungen zum Minimalbedarf und war ein Bewunderer der stalinistischen Industrialisierungspolitik. „die architektur ist keine baukunst mehr. das bauen ist eine wissenschaft geworden. architektur ist bauwissenschaft“ schreibt er zu einer Zeit als Josef Stalin den radikalem Fünfjahresplan umsetzte (1928-1932).
Aus den Vitrinen im Garage-Museum entsteht dann ein überraschender Bezug zur Gegenwart, veranschaulicht Meyer seine Artikel mit Bildern aus Berlin während der Weltwirtschaftskrise: Selbstgemalte Banner mit den Slogans wie „Erst Solde, Erst Miete, Erst Essen“ hängen aus den Fenstern in Hinterhöfen, heute heisst es ganz ähnlich in Berliner Szenen „Mietenwahnsinn“. Obwohl Meyer sich zunächst als Bewunderer der stalinistischen Wirtschaftspolitik zeigt, muss er 1936 die Sowjetunion verlassen. Er geht nach Mexiko, bleibt ein Verfechter der UdSSR.
The Internationalist Architect ist nicht nur eine Archiv-Schau. Von Osten und Watson luden Künstlerinnen ein, die Nachlässe von Tolziner und Püschel mit einer zeitgenössischen Perspektive neu vorzustellen. Doreen Mende fand dann in den Unterlagen des Meyer-Brigadisten Konrad Püschel die unbekannte Episode seiner offiziellen Abordnung zum Wiederaufbau Nordkoreas in den Fünfzigerjahren. Nach dem verheerenden Koreakrieg, an dem sich erstmals die Fronten des späteren Kalten Krieges abzeichneten, ging Püschel im Auftrag der DDR-Regierung nach Nordkorea. Im kriegszerstörten Hamhung leitete er den Wiederaufbau an und errichtete Siedlungen eben jener seriellen, ökonomischen Weise, die Meyer während seines Russlandaufenthalts forderte. Damit erprobte Püschel weit von der DDR entfernt, einen Wohnungsbau, der später auch in Ostdeutschland fortgeführt wurde. Püschel wurde später Lehrkraft an der Hochschule Weimar.
Auf eine tragische biografische Wendung geht Alice Creischer ein. Sie zeichnet in ihrer Installation die Lebenslinien des Bauhaus-Studenten Philipp Tolziner nach. In Anspielung auf Tolziners ursprüngliche Ausbildung als Möbelbauer setzte sie ihre Recherchen zu seiner Figur in ein filigranes Korbgeflecht um. Zentral ist in dieser Installation die Nachbildung eines seiner Typenhäuser. Doch dieses so niedlich erscheinende Minigebäude aus Beton verweist auf eine schwere Geschichte: Nachdem Tolziner Hannes Meyer nach Russland gefolgt war, wurde er Opfer des stalinistischen Repressionsregimes. Zehn Jahre verbrachte er in einem Gulag. Nur als Entwerfer von Lagerbaracken, Wachttürmen und der Villa des Kommandanten konnte er überleben. Das ist wirklich eine Suberzählung des Bauhaus.
Zum Thema:
Eine ausführliche Aufarbeitung einzelner, teils unbekannter Biografien von Bauhäuslern ist online zu sehen unter www.100jahrebauhaus.de/damals/koepfe
Das Projekt Bauhaus-Imaginista veranstaltet Ausstellungen, Konferenzen und Workshops auch u.a. in Indien, Japan und Brasilien. Alle Orte und Recherchematerial unter www.bauhausimaginista.org
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Installation über Bauhäusler Philipp Tolziner von Alice Creischer, bauhaus imaginista, Moving Away: The Internationalist Architect, Moscow
Frühe Arbeiten aus Schweizer Jahren von Hannes Meyers in der Ausstellung bauhaus imaginista, Moving Away: The Internationalist Architect, Moscow
Veröffentlichungen von Hannes Meyer zwischen 1930 und 1936 in Russland, bauhaus imaginista, Moving Away: The Internationalist Architect, Moscow
Doreen Mende über Konrad Püschel, bauhaus imaginista, Moving Away: The Internationalist Architect, Moscow
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