Nur selten trifft wohl der Ältestenrat des Bundestages eine Entscheidung, die unmittelbar eine größere Öffentlichkeit erreicht – schließlich kümmert sich das Gremium, das entgegen seines Namens keineswegs nur die ältesten Parlamentarier umfasst, primär um die internen Geschäfte der politischen Institution. Manchmal aber doch, und das insbesondere bei Fragen, die das eigene Haus – also den Reichstag– betreffen. Der Rat beschäftigt sich dann mit Themen, denen sich so ähnlich auch jeder Häuslebauer im Land stellen muss. Nur dass es im aktuellen Fall nicht um einen neuen Carport, sondern um ein Besucher- und Informationszentrum im Wert von 150 Millionen Euro geht.
Im November 2015 traf der Rat die Entscheidung für einen Neubau gegenüber des Reichstags südlich der Scheidemannstraße am Rande des Tiergartens, worauf in diesem Jahr ein offener zweiphasigen Planungswettbewerb durchgeführt wurde. Die Entscheidung der Jury fiel dann Anfang November 2016. Einen eindeutigen Gewinner gibt es allerdings noch nicht, dafür aber zwei gleichwertige 1. Preise, die beide als gerechtfertigt gelten dürfen. Diese gingen an das Team
Markus Schietsch Architekten mit
Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur & Städtebau aus Zürich und an die Berliner Arbeitsgemeinschaft aus
2D+ (
Markus Bonauer und
Michael Bölling) und
rw+ Architekten mit
capattistaubach Landschaftsarchitekten. Gestern Abend wurde die Ausstellung aller Wettbewerbsbeiträge eröffnet. Das Ergebnis im Überblick:
- Ein 1. Preis: Markus Schietsch Architekten mit Lorenz Eugster Landschaftsarchitektur & Städtebau, beide Zürich
- Ein 1. Preis: 2D+ (Markus Bonauer und Michael Bölling) und rw+ Architekten mit capattistaubach Landschaftsarchitekten, alle Berlin
Anerkennungen:
- BGAA + FRPO Burgos & Garrido Arquitectos + FRPO Rodriguez & Oriol Arquitectos, beide Madrid, mit VWA + UBERLAND, Vevey
- bob-architektur, Köln mit FSWLA, Düsseldorf
- HENN (Berlin) mit Ingenieurgesellschaft BBP Bauconsulting, Berlin
- Allmann Sattler Wappner Architekten mit Schüller Landschaftsarchitekten, beide München
- ARGE KIM NALLEWEG Architekten und César Trujillo Moya mit TDB Landschaftsarchitektur Thomanek Duquesnoy Boemans, alle Berlin
Bevor man über die Entwürfe sprechen sollte, ist angesichts der maximalen Bausumme zunächst ein Blick auf das Programm interessant. Notwendig wird der Neubau unter anderem deshalb, weil sich aufgrund der konstant hohen Besucherzahlen von rund 2,5 Millionen im Jahr der direkte Zugang zum Gebäude als unpraktisch erwiesen hat. In Zukunft soll sich die Sicherheitsschleuse im Neubau befinden, von wo aus ein Tunnel unter der Straße hindurch ins Reichstagsgebäude führen wird. Diese vermutlich recht aufwändige Baumaßnahme ist in der Kalkulation bereits enthalten, während sich das rechtliche Programm – Gastronomie und „Angebote zur Information und Kommunikation“ – dann fast schon bescheiden ausnimmt.
Beteiligt hatten sich an der ersten Phase des Wettbewerbs insgesamt 187 Büros, wobei die Jury um den Vorsitzenden
Arno Lederer bei vielen Entwürfen insbesondere Überarbeitungsbedarf bezüglich der Randbedingungen erkannt hatte. Die sind nicht ganz einfach zu lösen, umfassen sie doch ebenso den Erhalt von wichtigen denkmalgeschützten Alleen im Tiergarten wie zahlreiche technische Belange bezüglich mehrerer unterirdischer Infrastrukturtrassen. Neben Lederer und Senatsbaudirektorin
Regula Lüscher waren Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Vorsitzende der Bau- und Raumkommission des Ältestenrates,
Edelgard Bulmahn, in der Jury zu finden. Als Fachpreisrichter fungierten unter anderem
Carlo Baumschlager ,
Donatella Fioretti,
Almut Grüntuch-Ernst,
Eva-Maria Lang und
Benedikt Schulz .
Die beiden Entwürfe zeigen nach Meinung der Jury in unterschiedlichen Aspekten ihre Qualitäten. Der Beitrag von
Markus Schietsch Architekten überzeugt demnach durch seine „städtebaulichen Konzeption und einer klaren architektonischen Anmutung“, während das Projekt von
2D+ und
rw+ hinsichtlich seiner Besucherführung glänzt. Dort entwickelt sich mit dem „Foyer an der Ostseite das lebendige Zentrum des Gebäudes als geschossübergreifendes Raumkontinuum.“ Interessant ist, dass sich die beiden Entwürfe in ihrem Ausdruck auf den ersten Blick durchaus ähnlich sind. Beide Teams projektieren eine leichte, gläserne Halle mit schlanken Stützen, die in offensichtlichem Kontrast zum schweren Reichstagsbau steht. Unterschiede zeigen sich dagegen deutlich im Grundriss, denn das Team um Markus Schietsch arbeitet mit einer einfachen rechteckigen Lösung, während
Markus Bonauer,
Michael Bölling und
rw+ auf eine komplexere Geometrie setzen. Das lässt eine graduellere Annährung zu, wenn die Besucher unter das weit vorgezogene Dach treten, sorgt aber auch aus der Entfernung für mehr Tiefe in Relation zur Natur. Von dieser hebt sich die etwas strengere Kubatur von Markus Schietsch deutlicher ab.
Beide erste Preise vermögen aber für sich genommen klar zu überzeugen, wie es die Jury mehrfach betont – und die notwendigen Überarbeitungen sollten jeweils machbar sein. Die Empfehlung der Jury lautet daher, vor Verhandlungen mit den Teams zunächst eine Anpassung der Pläne vornehmen zu lassen. Wann eine endgültige Entscheidung fallen könnte, ist bisher nicht bekannt – der Bau des neuen Besucherzentrums soll aber in nicht allzu ferner Zukunft begonnen werden.
(sb)
Die Ausstellung aller Wettbewerbsarbeiten ist noch bis zum 14. Dezember 2016 während der Geschäftszeiten im Foyer des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung zu sehen. Die Adresse: Ernst-Reuter-Haus, Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin.
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stadt | 05.12.2016 15:59 UhrFalscher Bauplatz
Stimmt , John !
Die Länge des Tunnels zum Reichstag wäre die Gleiche.
Es wimmelt genauso von darunterliegenden Tunnelröhren und mit dem Volumen des Besucherzentrums hätte man am Bürgerforum schon was anfangen können.