Was für eine brachiale Erscheinung. Der Flakturm IV auf St. Pauli in Hamburg war schon immer ein Kaliber sondergleichen. Mit 70 Metern Fläche im Quadrat und 38 Metern Höhe zählt der Bau zu den größten Hochbunkern Deutschlands. Nun ist er durch eine pyramidenartige Aufstockung nochmal um 20 Meter gewachsen und ragt als „Grüner Bunker“ umso monumentaler auf.
Ursprünglich hat das NS-Regime den Flakturm IV 1943 von tausenden Zwangsarbeiter*innen nach Plänen von Friedrich Tamms errichten lassen. Bis zu 3,8 Meter dicke Wände und Decken machten ihn nicht nur zu einem gigantischen Schutzraum, sondern auch zu einer Kriegsmaschine. Gewissermaßen diente der Bunker, in dem bei Luftangriffen bis zu 25.000 Menschen Platz fanden, als Unterbau für Flugabwehrkanonen (kurz Flak) auf den vier Ecktürmen. Sie sollten das Bauwerk wie eine uneinnehmbare mittelalterliche Trutzburg aussehen lassen.
So stand der Bau da an der Feldstraße seither grau in grau, direkt neben dem Heiligengeistfeld und dem Millerntor-Stadion. Nach dem Krieg wurde er zum Medien- und Musikbunker. Der Vorläufer des NDR und der Springer-Verlag zogen ein, die erste Tagesschau wurde hier aufgenommen. Bis heute sitzen Kreativ- und Medienunternehmen wie Fotofachläden, Musikstudios und auch der Club Uebel & Gefährlich zwischen den Betonmassen. Doch das Bild blieb gleich, immerhin steht der Flakturm IV unter Denkmalschutz.
Den Hamburger Unternehmer Mathias Müller-Using und die Psychologin Nadschja Müller-Using, die mit Blick auf den Bunker wohnten, störte der Anblick des tristen Betonkolosses so sehr, dass sie vor knapp elf Jahren die Entwicklung eines Grünen Bunkers mit öffentlichem Zugang anstießen und mit dem interdisziplinären Designbüro Inter+-Pol Studios 2013 einen Entwurf für eine terrassierte, üppig begrünte Aufstockung samt eines Stadtparks ganz oben vorlegten, zu dem ein öffentlicher Weg nach dem Vorbild der Highline in New York führt.
Mit diesem Bild konnten sie den Investor und Bauherren Thomas J.C. Matzen überzeugen, der mit der Stadt als Eigentümerin 1993 einen Erbpachtvertrag über den Flakturm abgeschlossen hatte. Darin ist auch die vorwiegend kulturelle Nutzung festgeschrieben. Inter+-Pol wurde als Generalplaner beauftragt. Zum Team gehörten außerdem Buero 51 Architekten aus Hamburg (LPH 3), Phase10 Architekten aus Freiberg (LPH 5–8), die Tragwerksplaner*innen von schlaich bergermann partner sbp mit Hauptsitz in Stuttgart (LPH 1–3), die Hamburger Büros WTM Engineers (LPH 1–2) und Wetzel & von Seht (ab LPH 3) sowie Landschaftsarchitektur+ Holzapfel-Herziger & Benesch aus Hamburg (Machbarkeitsstudie, LPH 2–8).
Die Planungen dauerten lange: 2017 kam die Baugenehmigung, danach wurde Inter+-Pol von Matzen aus dem Projekt entlassen, wie Müller-Using erklärt. Bis zur Kündigung war sein Büro in den Leistungsphasen 1–4 tätig. Hauptverantwortlich für die Planung und Umsetzung ist seitdem Phase10. Insgesamt umfasst die Aufstockung samt Außenflächen knapp 20.000 Quadratmeter. Vor zwei Wochen wurde das umgebaute Projekt unter dem Namen Bunker St. Pauli eröffnet.
Projektleiter Ronny Erfurt von Phase10 hat mit uns über das Programm und die Konstruktion gesprochen. Besucher*innen können nun über den 560 Meter langen, sogenannten „Bergpfad“ um den Bunker nach oben laufen. Der sechs Meter breite Weg wird von Stahlkragarmen gehalten, die durch die dicken Betonwände geschoben sind. Oben türmen sich fünf terrassierte Geschosse, die Hotel, Restaurants, Bar, Café und Shop aufnehmen. Im Inneren wurde eine stützenfreie Veranstaltungshalle als akustisch getrennte Box-in-Box-Konstruktion eingeschoben, die vormittags für den Schulsport genutzt wird. Hinzu kommen mietfreie Räume für den Stadtteilverein Hilldegarden, die an der Planung beteiligt waren. Dieser wird künftig auch den Erinnerungsort betreuen, der die Geschichte des Bauwerks vermitteln soll. Er wird derzeit auf dem ehemaligen Bunkerdach angelegt, wo ein überdeckter Platz entstand. Die Aufstockung berührt den Bestand nämlich nur an den Flaktürmen und schwebt ansonsten, getragen von hohen Stahlverbundstützen, über dem Bunker. Auch ein Aufzug steht neben dem Bau.
Hauptsächlich lebt der Bunker von der Idee, ein öffentlicher grüner Berg zu sein, der auch konsumfrei funktioniert. Jede*r kann kostenfrei auf die beflanzten Terrassen und die Parkfläche ganz oben steigen. Rund 4.700 Flachwurzler wurden per Kran in die circa einen Meter tiefen Terrassenböden gehoben. Größtenteils handelt es sich um nordische oder alpine immergrüne Pflanzen, die in dieser Höhe ungeschützt Frost, Hitze und Sturm widerstehen müssen. Ein smart gesteuertes Be- und Entwässerungskonzept mit Retentionsdachflächen sorgt dafür, dass Regenwasser gespeichert wird. Forscher Marco Schmidt von der TU Berlin begleitet das Begrünungskonzept und den Wasserkreislauf auf dem Bunker nun über mehrere Jahre. Die Größenordnung dieses Projekts sei weltweit einmalig, sagt er.
Inwiefern die Idee des bepflanzten Bunkers langfristig aufgeht, und ob über die Zeit noch mehr Grün anwächst, wird man in einigen Jahren bewerten müssen. Die verklinkerten Außenwände und Beton-Attikas hat man jedenfalls schon mal in Blassgrün eingefärbt. (mh)
Fotos: Jakob Börner, Marcus Bredt
[Anmerkung der Redaktion: Die Absätze 4, 5 und 6 wurden hinsichtlich der Beteiligten angepasst.]
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mr-arcgraph | 24.07.2024 13:36 UhrFragen
Gäbe es die Möglichkeit, diese Aufstockung besser zu verstehen, in dem irgendwo auch die weiteren Grundrisse gezeigt werden?
Ist dieser konsumfreie Berg nich neben öffentlichen Räumen auch aus privat genutzten, einem Hotel gebildet?