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10.03.2023

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Wohnen im Strohballenhaus

Atelier Kaiser Shen in Pfaffenhofen


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Im Jahr 2018 kam ein Bauherr mit sehr genauen Vorstellungen in das Stuttgarter Büro der beiden Architekten Florian Kaiser und Guobin Shen. Er habe ein Grundstück im Dorfzentrum von Pfaffenhofen erworben, einem kleinem Ort nordwestlich von Heilbronn, und wolle dort ein Ein- oder Mehrfamilienhaus bauen, verkündete er dem Atelier Kaiser Shen. Da der Mann als Energieberater im Bauwesen tätig sei, wolle er das Haus mit Strohdämmung und Lehmputz bauen – weil er sich in seinem Beruf ständig wundere, warum diese alten Bauweisen nicht viel stärker genutzt würden. Sein Neubau solle ein Musterhaus für die alten Techniken werden, und am liebsten wolle er alle sechs Fassaden – also auch Dach und Bodenplatte – in Holzbauweise und mit Strohdämmung realisieren.

Das alles führte zu lebhaften Diskussionen und ausgiebigen Recherchen und letztlich zu der Entscheidung, ein rundum ungewöhnliches und äußerst flexibel einteilbares Wohnhaus umzusetzen. Tatsächlich wurden bei Haus Hoinka alle sechs Fassaden in der gleichen Bauweise realisiert, bei der die Strohballen mit einer Dicke von 36,5 Zentimetern in eine Holzkonstruktion gepresst und mit der Heckenschere abgeschnitten werden. Innen wird die Konstruktion mit Lehm verputzt.

Um Holz und Stroh vor Feuchtigkeit zu schützen und gleichzeitig aufwendige und unökologische Abdichtungen vermeiden zu können, wurde das Haus um eine ganze Etage aufgeständert. Das Kernhaus aus Fichtenholz und einer Fassade aus Weißtanne steht auf einem Wandkreuz aus Beton sowie vier Stützen. Bei geschlossenen Fensterläden wirkt der Holzbaukörper monolithisch und betont den Gegensatz zum offenen Erdgeschoss. Das Gesamtvolumen mit einer Abmessung von 12 auf 18 Metern und einer Firsthöhe von 14 Metern passt sich dennoch der Körnung der Nachbarschaft an.

Hinter der einfachen Grundform verbirgt sich ein komplex ineinander geschachteltes Haus, dessen Grundrisse auf eine maximale Flexibilität in der Einteilung der Wohneinheiten abzielen. In seiner einfachsten Ausbaustufe ist Haus Hoinka ein Doppelhaus bestehend aus zwei Maisonetten mit je 160 Quadratmetern Wohnfläche, die sich über das erste und zweite Geschoss verteilen. Die Eingänge zu jeder Einheit liegen im Erdgeschoss. Die Maisonetten drehen sich jedoch: Im ersten Geschoss ist das Haus in Längs-, im zweiten in Querrichtung geteilt, sodass jede Wohnung in alle vier Himmelsrichtungen ausgerichtet ist.

Erschlossen werden die Maisonetten durch je eine einläufige Treppe, sodass sie sich auch als Etagenwohnungen mit je 80 Quadratmetern nutzen lassen. Jede dieser Einheiten bietet eine flurlose Enfilade aus vier gleichwertigen Räumen, die jeweils 4 auf 4 Meter groß und durch eine Flügeltür oder einen offenen Durchgang verbunden sind. „Da alle Räume nahezu identisch sind“, schreiben die Architekten, „können sie wechselweise als Küche, Schlaf-, Wohn- oder Esszimmer genutzt werden.“ Zudem lassen sich die Wohnungen so auch ohne allzu aufwendige Eingriffe anpassen, wenn sich die Lebensumstände der Bewohner*innen verändern – was durch eine langfristige Nutzungsperspektive ebenfalls zum Nachhaltigkeitskonzept des Gebäudes beiträgt.

Hinzu kommt das Erdgeschoss, das die Architekten als „Möglichkeitsraum“ bezeichnen. Die vier offenen Felder im Wandkreuz sind jeweils etwa 40 Quadratmeter groß und können als Garage, Ladestation, Werkstatt, Lager oder offene Sommerküche genutzt werden. Eines der Felder wurde nun bereits als kleine Einliegerwohnung ausgebaut. Kaiser sagt, sie hätten sich im Entwurf immer vorgestellt, dass das Erdgeschoss jemand anderes plane oder dass es im Eigenbau ausgebaut würde.

Mit PV-Anlage und Wärmepumpe erreicht das Haus einen KfW-40-Plus-Effizienzhaus-Standard. Außerdem ist ein einjähriges Monitoring im bewohnten Zustand vorgesehen, um die tatsächlichen Verbrauchswerte zu erfassen – ganz im Sinne eines Musterhauses eben, dessen gutes Beispiel sich gerne fortsetzen darf. (fh)

Fotos: Brigida González


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

8

Rodewald WEM GmbH | 24.08.2023 12:22 Uhr

Deckenheizung und -kühlung aus Lehm

Tolles Projekt, nicht nur architektonisch, sondern auch konsequent ökologisch.

Wir von der WEM GmbH haben hier die modulare Deckenheizung und -kühlung aus Lehm hergestellt und geliefert. Sie besteht aus stabilen Lehmplatten mit integrierten wasserführenden Rohren, die im gesamten Gebäude an den Decken und Dachschrägen montiert wurden. Es entsteht eine ebene Fläche, die dünn mit Lehm verputzt und mit Lehmfarbe gestrichen wird. Die Flächenheizung lässt sich perfekt mit erneuerbaren Energien kombinieren, das Kühlen ist in Verbindung mit einer Wärmepumpe möglich.

Insgesamt sorgt die Deckenheizung mit Lehmputz für eine sehr ausgeglichenes Raumluftfeuchte und Temperatur. Auch hier wäre es sehr interessant, nach einigen Jahren über die Erfahrungen der Baufamilie/der Bewohner in puncto Wohlfühlen im Haus und mit dem Energieverbrauch zu berichten!

7

Dr Lacoste | 14.03.2023 10:03 Uhr

Liebes Baunetz

könnt ihr über dieses projekt dann bitte in 2, 3 Jahren wieder berichten, wenn die Bewohner das EG vollgeräumt haben mit Autos, Grill und Hobelbänken? Dann sieht das Haus vielleicht richtig gut aus und lebendig. Die "Musterwohnung" mit der Polycarbonat-Fassade verstehe ich jedenfalls da überhaupt nicht und ich hoffe sehr, dass nicht zur Profitmaximierung die anderen drei Felder auch noch ausgebaut und höchstbietend vermietet werden, sobald die Fotografin weg war.

6

Mainzer | 13.03.2023 10:57 Uhr

Einfach besser Bauen

Schönes Projekt, aber es fehlt leider die Verzahnung im EG mit dem Grundstück und der umgebenden Bebauung:

Im Hochwassergebieten ggfl. alternativlos, aber hier leider too much ...

5

auch ein | 13.03.2023 09:19 Uhr

architekt

@1: barrierefreiheit im einfamilienhaus / doppelhaus geht nur mit lift. also reinbauen oder nicht.

und aus solchen schönen häusern werden meist keine umbauten sondern man zieht um statt umzubauen. macht ja auch sinn denn alleine die umbauphase ist stress.

und die EG-zone ist doch recht gross, so viele Stellplätze braucht es doch gar nicht oder?
die verkleidung aus doppelstegplatten (wenn ich das richtig sehe) solte man in 3 Jahren nochmal anschauen, ebenso die edle holztüre

viele schöne ideen, teils wenig praktikabel im wahren leben

4

klappstuhldachs | 13.03.2023 09:18 Uhr

@50667

Die Problematik liegt in der allseitigen Dämmung mit Stroh begründet. Ich kann mir nicht vorstellen, wie oder unter welchem Aufwand eine Bodenplatte gegen Erdreich mit Stroh zu dämmen ist.

3

50667 | 12.03.2023 20:07 Uhr

Gutes.....


...Grundriss- bzw.Wohnungskonzept...das Gebäude selbst ist im Ganzen ein bischen bieder geraten....die konzeptionelle Herleitung der Aufständerung als Schutz der Strohballendämmung ist sehr abenteuerlich.... da reicht auch eine kleine Betonaufkantung völlig aus.... wie ein Energieberater ohne Not auf die Idee kommt sich ein Haus mit einer dermaßen großen Hüllfläche zu bauen wird für immer sein Geheimnis bleiben...

2

Lars K | 12.03.2023 18:48 Uhr

Prototyp + Serie

Also wenn ich das Haus in Pfaffenhofen mit FAr in Berlin vergleiche, dann würde ich mir wünschen, dass aus diesem hier auch einmal eine größere Serie wird. Das finde ich deutlich angenehmer als die Berliner Sichtbetonkälte. Gilt übrigens auch schon für das FAR-Haus im Wedding, das ich bei der Archplus-Veranstaltung kennen lernen konnte. Als Büro sehr schön, als Wohnhaus schwer vorstellbar.

1

Labrador | 11.03.2023 14:47 Uhr

bitte dranbleiben

Eines der inspierierendsten Projekte hier in letzter Zeit, nicht nur wegen der Bauweise, sondern v.a. wegen der flurfreien Grundrisse. Den Möglichkeitsraum im EG, nun gut, ich weiß nicht genau wie große die Nachfrage nach 40-qm-Miniwohnungen in Pfaffenhofen ist?
Ebenso vermisse ich eine Aussage zur barrierefreiheit . Wenn man schon eine Wohnung denkt, die quasi das ganze Leben lang halten soll, dann sollte Barreierefreiheit schon mitgedacht werden oder?

 
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