Nun ist es also zum dritten Mal feierlich eröffnet worden, das große Atatürk Kulturzentrum am Taksim-Platz in Istanbul. Der Neubau hat sozusagen bereits eine bewegte 75-jährige Geschichte hinter sich. Denn der
Entwurf des Istanbuler Architekten
Murat Tabanlioğlu ist - zumindest äußerlich - eine weitgehend exakte Kopie jenes originalen Gebäudes, das an dieser Stelle seit 1946 geplant, aber erst 1969 eröffnet werden konnte, nur um bereits ein Jahr später fast vollständig abzubrennen und durch eine erste Rekonstruktion ersetzt zu werden. Diese ersten beiden Gebäude hatte
Hayati Tabanlioğlu (1927-1994) entworfen, der Vater des jetzigen Architekten, was aus dem Gebäude nicht nur eine große Architektur-, sondern auch noch eine Familiengeschichte macht. „Die Fassade war ich meinem Vater schuldig“, sagte Tabanlioğlu junior zur Eröffnung „seines“ Gebäudes
der NZZ. Als das Kulturzentrum erstmals seine Pforten öffnete, war er gerade neun Jahre alt. Jetzt habe man das Gebäude „vom 20. ins 21. Jahrhundert geholt, ohne das vorherige Konzept zu verraten.“
So sind die wichtigsten äußerlichen Merkmale des Gebäudes im Neubau erhalten geblieben: die hohen, geschlossenen Wände aus Naturstein und die große Glasfassade zum Platz mit ihrem abstrakten Muster aus Aluminiumblenden wie die seltsame Notatur einer unbekannten Melodie. Allerdings ist die Glasfassade in der neuen Variante deutlich tiefer in das Volumen des Gebäudes zurückversetzt, sodass die Geste der schützenden Umhüllung noch stärker hervortritt. Eine „Rekomposition“ nennt das Tabanlioğlu, ein Update, mit dem das Haus auch gleich mit der neuesten Klang- und Sicherheitstechnik gegen Feuer und Erbeben ausgestattet wurde.
Das große Foyer hinter der Glaswand ist nun offener, und beherbergt in seiner Mitte eine auffällige runde Kugel, deren 14.810 knallrot glitzernde, handgemachte Kacheln bis auf den Platz zu sehen sind; wie ein Herz, von dem man erwartet, dass es gleich zu schlagen beginnt. Unter dieser Kuppel liegt der große Saal mit 2.040 Sitzplätzen für Opern, Ballett und Musicals. Rückseitig, mit Panoramablick über den Bosporus und auf die asiatische Seite von Istanbul, liegen ein Restaurant und ein Café sowie ein Theater für 800 Besucher*innen. Das gab es auch im alten Atatürk Kulturzentrum schon.
Den wahren Umfang des Komplexes sieht man vom Taksim-Platz aus allerdings nicht, sondern vor allem aus der Luft: Denn neu ist die sogenannte „Kulturstraße“, eine schnurgerade, überdachte Achse, die über mehrere Treppen einen offenen Eingang nach Norden formt. Hier befinden sich ein Dutzend weiterer Einrichtungen: eine 680-Quadratmeter umfassende Bibliothek, ein Kunstzentrum für Kinder auf 350 Quadratmetern, zwei Kunstgalerien, ein Tonstudio, ein Design Shop, eine Mehrzweckhalle mit 490 Quadratmetern, die auch als Kino genutzt werden kann, ein
pocket theater, noch ein Restaurant, noch ein Café und dazwischen kleinere Flächen, die als Läden, Büros, Ateliers oder Werkstätten vermietet werden können. Vom Taksim aus aber dominiert die klare, moderne Gestalt des guten, alten Atatürk Kulturzentrums wie schon seit 1969, nur strahlender denn je in seiner dritten, runderneuerten Ausführung.
(fh)
Fotos: Emre Dörter
Video:
AKM yeniden from TABANLIOGLU ARCHITECTS on Vimeo.
Tabanlioglu Architects
Zum Thema:
Mehr über das Büro Tabanlioglu Architects in der BAUNETZWOCHE#428.
Auf ARCHlab spricht Murat Tabanlioglu über das Projekt Loft Gardens und die Kanyon Shopping Mall.
Dieses Objekt & Umgebung auf BauNetz-Maps anzeigen:
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
5
Lars K | 10.11.2021 09:28 UhrAutschn
Die Kommentarspalten rasen von einem Tiefpunkt zum nächsten, danke auch ein Architekt.
Kennen Sie den ort und das Gebäude? Das Original ist/war eines der wichtigsten Gebäude einer westlich orientierten Moderne in der Türkei, deswegen auch innen eine Oper (!) mit also deutlichem kutlurellen Bezug zum Westen. Angesichts der politischen Diskussionen und Entwicklungen in der Türkei über die letzten Jahrzehnte ist es ein überhaupt nicht zu unterschätzendes Zeichen, dass es der Stadt hier gelungen ist, ein einfaches Verschwinden dieses (übrigens wunderschönen) Hauses zu verhindern. Zuerst war (noch vor den Gezi-Protesten) eine gewaltige Shopping Mall im Gespräch. Dieses neue Projekt ist nun offensichtlich ein (grosser) Kompromiss, der für mich aber sehr gelungen aussieht. Vor allem ist es geungen, die Fassade zum Taksim zu bewahren. Warum man hier gleich "Sozialismus" schreit, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft.
Es gibt dazu auch kluge Artikel in der NZZ und der SZ, vielleicht LESEN Sie einfach erst einmal, bevor Sie einfach nur öde, oberflächliche Meinung produzieren und hier auch noch andere Kommentatoren beleidigen.
Ich jedenfalls freue mich auf den nächsten Besuch in Istanbul und werde sicher versuchen, das rote Herz einmal aus der Nähe zu sehen.