Wer sich mit der Frage beschäftigt, wie eine Gesellschaft anders bauen könnte, sollte die erste ausführliche Publikation über das Londoner Architekturkollektiv Assemble lesen. Wie schon der Name Assemble (deutsch: zusammenfügen, versammeln) sagt, geht es der 18-köpfigen Gruppe darum, Menschen, Materialien und Ideen in neuen, überraschenden Konstellationen zusammenzufügen. Anlässlich der Ausstellung Assemble. Wie wir bauen, die im Sommer im Architekturzentrum Wien zu sehen war, erschien das gleichnamige, zweisprachige Buch in der AzW-Reihe Hintergrund beim Verlag Park Books.
Was kann Architektur? – diese Frage stellt sich die Direktorin des Architekturzentrums Wien und Herausgeberin des Buches Angelika Fitz. Dabei beziehe sich das „Können“ zuallererst auf die Rückgewinnung der Handlungsfähigkeit einerseits für die Architektur und andererseits für die Nutzer. Der Werk von Assemble zeigt explizit, was alles im partizipativen Verfahren möglich, denkbar und machbar ist. Die Gruppe aus 18 gleichberechtigten Mitgliedern arbeitet nicht nur selbst im Kollektiv, sondern nahezu alle Projekte entstehen mit Beteiligung der Nutzer. Nicht umsonst hat eine lokale Aktivistin Assemble als ArchitektInnen bezeichnet, die „Stimmen, Träume und Fähigkeiten der anderen hören und sehen“.
Die Publikation bietet Einblicke in die Arbeitsweise des Architekturkollektivs. Oliver Wainwright beschreibt in seinem Text „Momentaufnahmen des Möglichen“ die siebenjährige Geschichte der Gruppe, wie sie entstand, wie sie arbeitet und welche Pläne für die Zukunft umzusetzen sind. Zehn ausgewählte Projekte werden fotografisch ohne jede Zeichnung vorgestellt. Texte beschreiben in erster Linie die Umstände der Entstehung, Finanzierungsfragen und die Betreuung der Einzelnen. Sie erzählen wie zum Beispiel eine von Kindern mitgeplante Architektur aussieht oder wie ein Team aus mehr als hundert Freiwilligen eine aufgelassene Tankstelle in ein temporäres Kino umwandelt. Die Publikation dokumentiert außerdem ein Projekt mit Studierenden der TU Wien, das im Zuge einer Gastprofessur entstand. Da das Gesamtwerk des Kollektivs nicht nur durch gemeinschaftliches Handeln und Kollaboration, sondern auch durch Materialexperimente charakterisiert ist, stellen die beiden letzten Abschnitte kurze Geschichten über das Stuck-Paradox und über die Stofflichkeit Wiens vor.
Das Buch ist eine Art Manual auch für Nicht-Architekten, die nach alternativen Beispielen, Techniken und Strategien in der von Investoren getriebenen Stadtentwicklung suchen. Im selbstorganisierten gemeinsamen Tun, in der Selbstbeauftragung, im Selberbauen und Selberbetreiben gehen Assemble unkonventionelle Wege in der Architektur. Wie Oliver Wainwright formuliert, sind ihre Projekte Prototypen möglicher Zukünfte und ein optimistischer Anstoß, sich alternative Wege für das Bauen einer Gesellschaft vorzustellen.
Text: Mariam Gegidze
ASSEMBLE Wie wir bauen
Angelika Fritz, Katharina Ritter, Architekturzentrum Wien (Hg.)
Hintergrund 55
Park Books, Zürich 2017
Deutsch und Englisch
160 Seiten, 91 farbige Abbildungen
29 Euro