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14.09.2022
Buchtipp: Radical Pedagogies
Architekturschulen der Nachkriegszeit
Mehr als zehn Jahre Arbeit und Austausch sind in die Publikation Radical Pedagogies eingeflossen, die 2010 als von Beatriz Colomina initiiertes Forschungsprojekt in Princeton begann. Im Rahmen von Doktorandenseminaren wurden radikale Architekturschulen der Nachkriegszeit gesammelt, diskutiert und in Ausstellungen beispielsweise auf der 3. Triennale in Lissabon oder der 14. Architekturbiennale in Venedig vorgestellt. Mit den internationalen Stopps stießen auch immer wieder neue Beispiele zum Forschungsprojekt, das nun über einhundert Schulen, Seminare und kollektive Protestaktionen versammelt. Alle haben sie zu ihrer Zeit einen fundamentalen Beitrag zur kritischen Auseinandersetzung mit der Architekturlehre geleistet, der teils bis heute nachwirkt.
Gemeinsam mit Ignacio G. Galán, Evangelos Kotsioris und Anna-Maria Meister herausgegeben, ist Radical Pedagogies eine Zusammenstellung kurzer Abrisse, die meist auf nur vier bis sechs Seiten einen Einblick in die Entstehungsprozesse unterschiedlichster Formen der Architekturpädagogik geben. Gemein ist allen Beispielen der Wunsch, konstant die Grundlagen und Voraussetzungen der Disziplin herauszufordern. Interessant ist, dass der Band bis auf wenige Ausnahmen vornehmlich Beispiele der 1960er und 1970er Jahren umfasst, die als Initiativen, zum Teil aber auch als neugegründete Architekturschulen häufig ein jähes Ende fanden. Viele der Protagonist*innen haben sich allerdings trotzdem in die Architekturgeschichte einschreiben können.
Gleich zu Beginn erhält man einen Einblick in die Vorläufer der 68-Proteste an der Universität Stuttgart, die mehr Demokratisierung forderten, das Curriculum der Architekturfakultät durch selbstorganisierte Lehre zu ersetzen suchten und nicht zuletzt zur Gründung der ARCH+ Zeitschrift führten. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Institution, daran erinnert Radical Pedagogies, zeugt von der Fähigkeit, sich gesellschaftlichen und politischen Zwängen zu widersetzen.
Beispielhaft seien hier darum auch die Proteste in Barcelona zu Zeiten der Franco-Diktatur genannt, die seit 1966 den Fokus der Architekturlehre auf Theorie und Architekturkritik verlagerten. Ebenso findet die Zusammenarbeit zwischen dem 1972 gegründeten Center for Independent Living verschiedener Disability Aktivist*innen mit dem College of Environmental Design in Berkeley Eingang in die Publikation und verweist darauf, wie durch Kollaboration und Protest Veränderungen innerhalb sowie außerhalb der Universität möglich wurden.
Ihr Ziel, vom üblichen Kanon abzuweichen, haben die Herausgeber*innen nach eigener Aussage aber nur stellenweise erreicht. Allein schon aufgrund von teils sehr unterschiedlich aufgearbeiteten Archiven ergeben sich bestimmte Gewichtungen. Umso wichtiger dürfte ihnen darum der Hinweis gewesen sein, dass der vorliegende Band auch nach mehr als zehn Jahren des Zusammenarbeitens vor allem als Ausgangspunkt für weitere Forschung dienen kann.
Text: Sara Lusic-Alavanja
Radical Pedagogies
Beatriz Colomina, Ignacio G. Galán, Evangelos Kotsioris, Anna-Maria Meister (Hg.)
416 Seiten
Englisch
MIT Press, Cambridge 2022
ISBN 978-0-262-54338-5
64 Euro
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Studentenversammlung an der Universität Barcelona, 1966
Cover: Der Campus der Universität Ife in Nigeria wurde in den 1960er Jahren von Arieh Sharon geplant
Anna-Maria Meister skizziert in Radical Pedagogies die Entstehung aber auch das Ende der 1953 gegründeten HfG Ulm.
In einem Beitrag von Philipp Oswalt wird unter anderem Lucius Burckhardts experimentelle Architekturlehre an Gesamthochschule Kassel vorgestellt.
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