Die Corona-Krise hat auch den Lehrbetrieb durcheinander gewirbelt. Wie läuft das noch junge Sommersemester ohne Präsenzveranstaltungen? Das wollten wir vom Dekan einer Fachhochschule wissen, die schon vor vier Wochen an den Start ging, außerdem von einem Architekturtheorie-Professor, einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, einer Studentin und einem Prodekan für Studium und Lehre.
Marie Vorbeck
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Entwerfen und Bauen im Bestand von Professor Per Pedersen an der BTU Cottbus-Senftenberg. Semesterbeginn war am 6. April.
Wer hätte gedacht, dass sogar Entwurfsbetreuung digital funktioniert, ohne Tischkritik, ohne Skizzenrolle und das gemeinsame Sitzen vor dem Modell? Marie Vorbeck ist selbst erstaunt, wie gut das geht. Sie bezeichnet die Zeit der Umstellung und die ersten Semesterwochen als arbeitsintensive, aber absolut positive und lehrreiche Erfahrung. Das Atelier des Fachgebiets in Cottbus, in dem sonst bis zu 80 Bachelor- und Masterstudierende arbeiten, ist leer. Stattdessen trifft man sich jetzt in kleinen Gruppen per Videokonferenz im virtuellen Entwurfsstudio. Die Studierenden zeigen ihren Arbeitsstand in kleinen Präsentationen, was – so der erste Eindruck von Vorbeck – eine bessere Vorbereitung mit sich bringe als die sonst eher spontanen, mitunter konfus vorgetragenen Erläuterungen. Ihre Modelle filmen die Studierenden mit dem Smartphone und nehmen dabei „Regieanweisungen“ der Lehrenden entgegen, was sie aus welchem Blickwinkel zeigen sollen.
Die Betreuenden können über die Bildschirmfreigabe die Planzeichnungen nicht nur sehen, sondern auch zu klärende Punkte markieren und – etwas umständlich allerdings – in die PDFs hinein zeichnen. Praktischer sei es, so Vorbeck, die eigenen Verbesserungsvorschläge ganz altmodisch von Hand zu skizzieren und diese ebenfalls über die Handy-Kamera zu den Studierenden zu übertragen. Softwarelösungen für diese Art zeichnerischer Zusammenarbeit probiere man parallel aus. So kommt, zusätzlich durch Teambesprechungen und die Teilnahme an Institutsratssitzungen, sehr viel Bildschirmzeit zusammen – ein ermüdender Aspekt der Online-Lehre.
Bei aller Begeisterung über den gelungenen Start äußert Vorbeck auch Zweifel: Wichtige Erfahrungen, die Präsenzlehre automatisch mit sich bringe, könnten auf der Strecke bleiben, etwa der Austausch unter den Studierenden im Atelier. Hier sitzen in Cottbus immer unterschiedliche Semester der Studienrichtungen Architektur und Stadtplanung zusammen und lernen ganz nebenbei voneinander. Der hochschulinterne Diskurs, den Rundgänge, Ausstellungen und Vorträge mit sich brächten, sei lahmgelegt. Aber vielleicht muss das ja nicht dauerhaft so sein? Hier liege die nächste wichtige Aufgabe, nach dem die Lehre angelaufen sei: Eine Antwort auf die Frage zu finden, wie man die Vorzüge eines realen Lernorts auch ins Netz bringen kann.
Professor Carsten Wiewiorra
als Dekan der Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur für die Umstellung auf digitale Lehre verantwortlich. Der Semesterbeginn war bereits am 30. März.
Es sei ja nun wirklich nichts Neues, so Carsten Wiewiorra, dass wir mitten im digitalen Zeitalter sind. Erstaunlich, wie scheinbar unvorbereitet das einige trotzdem treffe. In Detmold blieb knapp 1.500 Studierenden ein bundesweit teilweise sogar per Petition unterstütztes „Nichtsemester“ erspart. Sie starteten vor fast vier Wochen in ein sogenanntes „Kreativsemester“. Die herausforderndste Aufgabe in der Vorbereitung sei weniger technischer als struktureller und kommunikativer Natur gewesen, erzählt der Dekan – nämlich alle mitzunehmen sowie Bedenken und Berührungsängste zu zerstreuen, was für Lehrende und für Studierende gleichermaßen galt.
Man könne sich nicht vorstellen, wie schwierig für einige der Umgang mit den ungewohnten Tools sein würde, also zum Beispiel einer digitalen Lernplattform für die Lehrangebote und Programmen für Videokonferenzen oder Onlineforen. Inzwischen herrsche aber längst Freude am Ausprobieren vor, es gab schnell keinen mehr, der nicht beim digitalen Semester dabei sein geschweige etwas „ausfallen“ lassen wollte. „Aufbruch ins Unbekannte als Chance des Machens“, nennt Wiewiorra diesen Zustand. Das sei der schönste Erfolg, auch wenn menschliche Präsenz für ihn unersetzlich bleibt.
Wichtig bei der Organisation des digitalen Lehrangebots sei es gewesen, von Anfang an User-orientiert zu denken – also dass nicht vorrangig die Lehrenden gut klar kommen, sondern dass die Studierenden schnell finden, was sie suchen und dass sie sich begleitet fühlen. Das wiederum hat nicht nur mit Technik zu tun: Die Formulierung der Aufgaben als Anleitung zum Selbststudium ist viel präziser als sonst, stärker in Schritten aufgebaut. Denn nicht jedem fällt das Heimarbeiten ohne persönliche Anleitung leicht. Selbstreflexion und das Diskutieren mit Kommiliton*innen bleiben auch im digitalen Semester essentielle Bausteine – aber eben in ungewohnter Form.
Bisher sind die meisten Studierenden mit der Organisation der digitalen Lehre überwiegend – und für Wiewiorra durchaus überraschend – sehr zufrieden. Dies hat eine erste Instagram-Umfrage mit extrem hoher Beteiligung der Studierenden bestätigt. Einiges aus diesem „Ausnahmezustand“ – beispielsweise jederzeit abrufbare Onlinevorlesungen, digitale Skripte, Webinare und Kommunikationsforen – werde zum festen Bestandteil der Lehre werden, davon ist Wiewiorra überzeugt.
Professor Stephan Trüby
Leiter des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen (IGmA) an der Universität Stuttgart. Semesterbeginn war am 20. April.
Wie geht es einem Theorie-Lehrstuhl unter den neuen Vorzeichen? Bewegt sich das IGmA selbstverständlicher durch den digitalen Raum als klassische Entwerfer? Bei Stephan Trüby hört es sich so an. Er und ein Team bieten Seminare und Entwürfe im Kontext laufender Forschungs- und Publikationsprojekte an, etwa zu Themen wie „Right-wing Spaces in Europe and Beyond“ oder zur „Theorie als Krise. Krise als Theorie“. Es gibt aber auch einen Entwurf zum „Vokabular der metaeuropäischen Stadt“. Die gemeinsame Arbeit an Publikationsprojekten mache gerade in Zeiten von Corona Sinn, findet Trüby, da Buchproduktionen unabhängig von Covid-19 immer schon eine Art „taktische Einsamkeit“ erfordert hätten.
In seinen Vorlesungen spielt Corona direkt und indirekt eine Rolle. Schließlich sei Architektur eben nicht nur eine von Optimismus getragene Planung für eine bessere oder zumindest schönere Welt, sondern müsse auch als „post-stressale Coping-Technik“ betrachtet werden, deren Ordnungen und Regeln sich nach Kriegen oder Seuchen in Stellung bringen. Die Geschichte der Architektur und ihrer Theorie sei ohne das Wissen um die Pest und andere Katastrophen kaum zu verstehen. Hier verweist er auf Palladios Il Redentore in Venedig oder Fischer von Erlachs Karlskirche in Wien. Auch Covid-19 werde die Architektur und die Stadtplanung verändern, da ist er sicher. Wer heute über die Architektur der Zukunft nachdenke, sei dazu verdammt, „Postcoronial Studies“ zu betreiben.
Die Umstellung auf das Homeoffice und die Erarbeitung digital getragener Lehrangebote verlief seiner Wahrnehmung nach überraschend problemlos. Die zentrale Herausforderung des Unibetriebs in den nächsten Monaten sieht er an einer anderen Stelle: Das Ideal einer „herrschaftsfreien Kommunikation“ und das kreative gemeinsame Herumspinnen sei in den zu hierarchischen Umgangsweisen neigenden Online-Konferenzräumen nur mit viel Geduld und Empathiefähigkeit umsetzbar, so Trüby. In der Architekturausbildung käme noch erschwerend hinzu, dass Vieles was man zu thematisieren habe – räumliche Raffinessen oder Materialentscheidungen – via Webex oder Zoom nur schwer zu diskutieren sei. Trüby findet, wir sollten möglichst schnell von jenen Online-Formaten lernen, in denen bereits seit Jahren Millionen „freiwillige Gefangene“ die größtmögliche Freude an der Ko-Isolation empfinden – das sind vor allem die von Gamern genutzten Live-Streaming-Videoportale wie twitch.tv. Vielleicht müsse für eine Weile die komplette Architekturausbildung gamifiziert werden – und nicht nur die?
Charlotte Uhlig
Architekturstudentin im 6. Semester an der HafenCity Universität Hamburg. Semesterbeginn war am 20 April.
In diesem Semester hätte Charlotte Uhlig eigentlich ihre Bachelor-Thesis bearbeiten sollen. Aber dann entschied sie sich noch vor der Corona-Krise, nur ausstehende Credits einzuholen, bevor sie sich im Wintersemester ausschließlich ihrer Abschlussarbeit widmen würde. So bearbeitet sie jetzt im Modul Kostenplanung gemeinsam mit einer Projektpartnerin den bereits fortgeschrittenen Entwurf aus dem letzten Jahr und trifft sich virtuell zu den Besprechungsterminen mit ihrem Professor. Der war ihr zufolge gut auf die Situation vorbereitet: Vor Semesterbeginn habe er sich mit Lehrenden anderer Hochschulen vernetzt, bei denen die Vorlesungen bereits früher begonnen haben, berichtet sie. Er habe recherchiert, welches Programm sich am besten für seine Zwecke eignet. Nun arbeite man mit Microsoft Teams zusammen.
Für die Kommiliton*innen, die ihren Bachelor trotz der aktuellen Lage absolvieren, gestalte sich der virtuelle Semesterstart gerade komplizierter. Nachdem vieles zeitlich nach hinten verschoben wurde, herrsche derzeit viel Ungewissheit. Anmeldetermine sowie Abgabefristen seien bis auf Weiteres ausgesetzt. In der nächsten Woche solle aber mehr Klarheit geschaffen werden. Was bereits jetzt bekannt ist: Eines der gestellten Themen befasst sich mit gewollter oder auch ungewollter Isolation in der Architektur.
Besonders hart trifft die Umstellung die jüngeren Semester, für die normalerweise auch Entwürfe mit Gruppenarbeit auf dem Programm stehen. Uhlig zum Beispiel war auf Studienfahrt in Helsinki, um die nordische Architektur zu analysieren und die gewonnenen Erkenntnisse auf ihr im dänischen Aarhus gelegenes Projekt anzuwenden. Auch die Biennale in Venedig hat sie mit der Hochschule besucht. Diese lehrreichen Erfahrungen fallen weg.
Professor Jörg Stollmann
Prodekan für Studium und Lehre an der TU Berlin. Semesterbeginn war am 20. April.
Gerade geht es vielerorts noch darum, dass der Start gelingt. Manche Verantwortliche musste die Sache aber gleich vom Ende her denken: Wie funktionieren Prüfungen ohne Präsenz? Wie bekommt man es hin, dass das Semester mit noch ungewissem Ausgang am Ende nicht zur Regelstudienzeit zählt und nicht vom Bewilligungszeitraum für Bafög abgeht? Viel musste im Hintergrund gearbeitet werden: Wie beschafft man ausreichend Software-Lizenzen für Programme zur Online-Lehre, die im Hinblick auf Datensicherheit unbedenklich sind? Wie kann man Studierenden helfen, die technisch nicht gut ausgestattet sind oder die Jobs verloren haben, mit denen sie das Semester finanzieren?
Jörg Stollmann berichtet aus seinem stürmischen Alltag. An der TU Berlin seien Software-Alleingänge verhindert und eine hochschulweit einheitliche Lösung für fast 40.000 Studierende auf die Beine gestellt worden. Außerdem habe man Bundes- und Landesmittel eingesetzt, um Tablets und Kameras für die Online-Lehre anzuschaffen und die Serverkapazitäten beträchtlich ausgebaut. Parallel habe das Institut für Architektur in einer AG aus IT-Beauftragten, Studierenden, Mitarbeitenden und Professoren Online-Werkzeuge für die Projektlehre getestet, Tutorials erstellt und diese dann in Abstimmung mit der Zentrale genehmigen lassen. Alles in allem sei dabei in kurzer Zeit enorm viel möglich gemacht worden.
Dass schon bald die ersten Prüfungen stattfinden, für ihn zum Beispiel die mündliche Abnahme von Masterarbeiten, bereitet Stollmann kein Kopfzerbrechen. Solche Prüfungen könnten schon jetzt per Zoom (mit Profi-Lizenz) abgenommen werden, das seien keine Massenprüfungen, bei denen die Feststellung einer Identität tatsächlich ein noch zu lösendes Problem darstelle. Man habe in den Betreuungen lange zusammengearbeitet und kenne sich. Für alles andere würden sich auch Möglichkeiten finden, über den Hochschulserver ohne Fremdsoftware, oder vielleicht auch Klausuren im Hörsaal mit ausreichend Sicherheitsabstand.
Aber wie können Studierende arbeiten, wenn die Computer-Pools nicht zugänglich sind und sie keine äquivalente Ausstattung zu Hause haben, Computer ohne Webcam, ausreichenden Speicherplatz, die nötige Software? Auch diese Frage wurde an der TU Berlin zum digitalen Semesterstart beantwortet. Die Hochschule hat Laptops angeschafft, die an Studierende ausgeliehen werden können, allerdings ist hier auch das Angebot auf dem Markt ein Problem. Zudem gibt es ein Zeichen von Zusammenhalt in schwierigen Zeiten, das bewegt und hoffentlich reichlich Nachahmung findet: Stipendien des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden aus privaten Zuwendungen der Professor*innen aufgestockt, die für diesen Zweck auf einen selbst gewählten Anteil ihres Gehalts verzichten. Hut ab!
Text und Recherchen: Katrin Voermanek, Kathrin Schömer, Trang Pham