Die Tiefe von Stadträumen zu öffnen und diese in einen Dialog mit zeitgenössischer Kunst zu bringen, ist das große Verdienst des Festival des Architectures Vives, das Mitte Juni 2022 zum nunmehr 16. Mal in der Altstadt von Montpellier stattfand. Thema war dieses Jahr die Unbeständigkeit („Impermanence“). Insgesamt zehn Höfe historischer Bürgerhäuser, auf Französisch „hôtels particuliers“, boten Raum für je eine Installation, gestaltet von jungen Architekt*innen oder Architekturkollektiven aus verschiedenen europäischen Ländern sowie dem kanadischen Québec.
Am Ende des viertägigen Festivals stand die Bekanntgabe der Preise: Verliehen wurden ein Jury- und ein Publikumspreis sowie zwei lobende Erwähnungen. Der Jurypreis ging in diesem Jahr an ein Kollektiv von sechs Absolventen der TU Darmstadt. Kilian Petracek, Anton V. Schmunk, Marcel Navid Sharifian, Kalieb Johanes, Anh Khoa Ngo und Timur Zhigaylo hatten für ihre Installation „Bouteille à la mer“ („Flaschenpost“) hunderte transparente Glasflaschen zu einem Zylinder gestapelt. Auf vorbereitete Papiere konnten man anonyme Nachrichten schreiben – und sie in die Flaschenhälse stecken. Andere Besucher*innen durften sie lesen oder sogar mitnehmen.
Jeweils eine lobende Erwähnung vergab die Jury für „Fragment“ von Chiara Vigneri und François Chantier aus Berlin sowie für die Spiegel-Installation „Caeloscope“ des Polen Alek Rokosz. Malo Chabrol und Lucas Buti aus Marseille erhielten den Publikumspreis.
Eigentliche Gewinnerin des Festivals aber ist – in jedem Jahr wieder – die Altstadt von Montpellier: Denn die herrschaftlichen Höfe der „hôtels particuliers“ sind normalerweise nur den Bewohnern zugänglich; zumeist dienen sie lediglich als Durchgangsraum. Während des Festivals werden sie geöffnet, und man verweilt in ihnen auf, es entstehen Gespräche zwischen den Besuchern, und die Aufenthaltsqualität der Höfe wird erlebbar. So bekommt das sonst recht geradlinige Gassennetz der Stadt eine neue Tiefe. Durch die Installationen entsteht ein spannendes Zusammenspiel mit der Architektur, die teils aus der Renaissance stammt und – wie in Frankreich oft anzutreffen – sanft bis ins Heute gebracht wurde. Erläuterungen zur Baugeschichte der Höfe, die den gleichen Raum einnehmen wie diejenigen zu den Installationen, verfestigen dieses Zusammenspiel. Ergänzend ist während der Öffnungszeiten jeweils ein Team aus Studierenden vor Ort und erläutert die Installationen – was nicht nur für weitere Belebung, sondern zusätzlich für Sicherheit in den privaten Häfen sorgt.
Text: Barbara Hallman
Zum Thema:
festivaldesarchitecturesvives.com
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Barbara | 29.06.2022 21:25 Uhr...
Das Spannende daran: Das sind durchwegs junge Architekten - Leute, die grad mit ihrem Studium fertig sind. Lassen wir sie also an die Hebel, würde ich vorschlagen.