Als sich der Architekt und Wirtschaftswissenschaftler Günther Moewes und sein Verleger Joachim Schäfer kürzlich entschieden, Moewes Weder Hütten noch Paläste. Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft wieder neu aufzulegen, da wussten sie gewiss, dass diese Streitschrift auch 26 Jahre nach Ersterscheinung kaum an Aktualität eingebüßt hat. Sätze wie „Der Freihandel mit den Gütern von heute ist die Subventionierung der Zerstörung der Umwelt.“ kann man heute mit der gleichen Vehemenz veröffentlichen wie 1995.
Denn Moewes stellt in Weder Hütten noch Paläste Zusammenhänge zwischen globalisierter Wirtschaft, Arbeit, fossilen Ressourcen und Bauen dar. Sie bilden für ihn eine Spirale, die sich in ökologische und politische Konflikte zuspitzen muss, da sie auf dem Verständnis eines Wirtschaftswachstums fußen, das in der Polemik Moewes nur ein irrwitziges Missverständnis sein kann: das Streben nach exponentiellem Wachstum.
Dieses misst den Erfolg von Unternehmen wie auch von ganzen Volkswirtschaften nur als Zuwachsrate im Vergleich zum vorherigen Wachstum. Für die Bauwirtschaft stellt der 1935 geborene Moewes zu Beginn seines Buches ein Beispiel voran: „Wenn eine Stadt 100.000 Wohnungen hat und jährlich 4.000 Wohnungen hinzukommen – wieviel Prozent Wachstum sind das? Es ist Nullwachstum. Zwar wächst die Stadt in dieser Zeit unaufhörlich weiter. Ihr Wohnungsbestand verdoppelt sich nach 25 Jahren. Aber die Wohnungsproduktion bleibt stets gleich. Um ein gleichbleibendes Wachstum von 4 Prozent zu erzielen, muss unsere Stadt im ersten Jahr 4.000, im zweiten schon 4.160 (4 Prozent von 104.000), im dritten 4.326, im zwanzigsten 8.426 und im dreißigsten Jahr 12.475 Wohnungen hinzubauen. Sie verdoppelt ihren Wohnungsbestand schon nach 18 Jahren und verdreifacht ihn nach 28.“
Einfache Mathematik mit wahnwitzigen Produktionsergebnissen – versucht man sich etwa allein das Wirtschaftswachstum Chinas für das Jahr 2021 mit 8,1 Prozent vorzustellen. Diese Produktivität kann eigentlich nur mithilfe eines Energieaufwands realisiert werden, der unsere menschlichen Kräfte übersteigt: die fossile Energie. „Durch den Zugriff des Menschen auf die fossilen Energien gelang es in der Geschichte der Galaxie erstmalig einer Art, ihren Energieverbrauch und ihre Population über das Sonnenlimit hinaus auszudehnen.“, schreibt Moewes prophetisch.
Mit dem Abbau von Kohle-, Öl- oder Gasvorkommen für die globale Wirtschaft führt Moewes einen Begriff ein, der im Laufe des Buches zur Metapher für die Vorgänge in Architektur und Stadtplanung wird: Entropie. Mit dem Begriff aus der Thermophysik beschreibt er die Vermischung von Ressourcen durch das globale Wirtschaften. Das sibirische Gas in deutschen Haushalten, die Braunkohle aus Brandenburg, auf deren Basis Maschinen betrieben werden, die wiederum Güter für den Handel von Europa nach China produzieren. Entropie bedeutet hier aber auch die Vermischung von Landschaften: die Industrieareale in Ballungsgebieten, an denen Wohnhäuser, Straßen, Parkplätze anschließen, die totale Durchdringung der Welt durch die exponentiell wachsende Wirtschaft.
Moewes – der von 1971 bis 2002 an der Fachhochschule Dortmund lehrte und dort ab 1974 das Gebiet „Industrialisierung des Bauens“ vertrat – macht auch Vorschläge, wie sich diese fortschreitende Entropie eindämmen ließe. Seine Forderungen von 1995 klingen dabei ganz aktuell: Fossile Energie radikal einsparen, durch richtige Umbauten Sonnenergie nutzen, Abriss vermeiden und Altbauten umbauen, Material wiederverwenden, Siedlungszentren bilden, Zersiedelung verhindern, Gebiete dezivilisieren (etwa stillgelegte Zechen im Ruhrgebiet) und gänzlich der Natur überlassen – und sich nicht dem Irrglauben ständiger Innovation hingeben, sondern Lösungen aus dem Vorhandenen entwickeln. Also: Weder Hütten noch Paläste bauen.
Text: Sophie Jung
Weder Hütten noch Paläste. Architektur und Ökologie in der Arbeitsgesellschaft
Günther Moewes
264 Seiten
Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2021
Unveränderte Neuauflage der Originalausgabe von 1995
ISBN 9783939816782
20 Euro