Von Jeanette Kunsmann und Stephan Burkoff
Die Kunst darf alles. Auf der diesjährigen Biennale in Venedig wird Karl Marx’ Kapital gelesen, Carsten Höller stellt ein Karussell in die Giardini und eine katholische Kirche aus dem zehnten Jahrhundert wurde temporär in eine Moschee umgebaut – die erste in der Lagunenstadt überhaupt. Ein Rundgang entlang architektonischer Grenzen.
In der Santa Maria della Misericordia sind alle Kreuze verschwunden, es wird aber weiterhin gebetet – Richtung Mekka. Während etwa ein Drittel der Nationenpavillons in den Giardini und ein weiteres Drittel im Arsenale untergebracht sind, findet sich der isländische Beitrag auf der 56. Kunstbiennale im Stadtteil Cannaregio, angrenzend an das jüdische Viertel. Kuratiert von Nína Magnúsdóttir stammt die Idee zu dieser provokanten Installation von dem Schweizer Konzeptkünstler Christoph Büchel, der für seine speziellen Umnutzungen bekannt ist (2010 verwandelte er zum Beispiel die Wiener Secession in einen Swinger-Club). Sein Biennale-Beitrag ist in Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinschaften von Venedig entstanden – etwa 15.000 bis 20.000 Muslime leben in der Serenissima. „La Moschea della Misericordia“ reiht sich auf der einen Seite als eine weitere Kulisse auf der großen Bühne von Venedig ein, auf der anderen Seite agiert dieser Biennale-Beitrag als starke historische und politische Auseinandersetzung mit aktuellen globalen Konflikten. Mit dem Bau der ersten Moschee Islands wurde übrigens erst 2014 in Reykjavik begonnen.
Neben dieser verstörenden Umnutzung sind auffällig viele architektonische Interventionen auf Okwui Enwezors Kunstbiennale zu sehen. David Adjaye hat eine unaufgeregte Arena in den Zentralpavillon gesetzt, während in den deutschen Pavillon der Leipziger Architekt Bernhard Tatter 2015 einen Dachboden und einen Keller aufwendig eingebaut hat. Dort liegen die Besucher auf weißen Kunststoffgartenliegen in der Matrix von Hito Steyerls Videoinstallation „Factory of the Sun“. Olaf Nicolai löst die Materie auf und lässt imaginäre Boomerangs vom Dach fliegen – eine Geste, die nur aufmerksame Beobachter bemerken werden.
Pamela Rosenkranz und Susanne Pfeffer verwandeln den Fünfziger-Jahre-Bau von Bruno Giacometti in einen fleischfarbenen Körper: Der Schweizer Pavillon steht zur Hälfte unter babyrosafarbenem Wasser, während der Rest des Gebäudes in grünes Licht getaucht wird. Gleichzeitig spielen Gerüche eine zentrale Rolle. „Our Product“ ist eine esoterisch-technologische Auseinandersetzung und zugleich Kritik am klassischen White Cube.
Mit einer Black Box hingegen setzt sich der Künstler Heimo Zobernig mit dem 1934 nach den Plänen von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter errichteten Österreichischen Pavillon auseinander. Das Kunstwerk ist ein räumlich-formaler Eingriff in den Gebäudebestand: Ein schwarzer Block hängt die Decke ab und lässt jegliche nationalstaatliche Repräsentation verschwinden.
Und Camille Norment inszeniert das Innere sowie das Äußere von Sverre Fehns nordischem Pavillon mit großformatigen zerbrochenen Glasfenstern. „The Rapture“ versteht sich als eine performative Komposition, als abstrakte Symphonie. Klang und Vibration stehen im direkten Bezug zum Raumkörper.
Überhaupt sammelt sich auffallend viel konkret gebaute Architektur auf dieser Kunstbiennale – vielleicht sogar mehr als auf vorigen Architekturbiennalen. Während Rem Koolhaas, Kurator der letzten Architektur-Biennale in Venedig, bemängelte, die Grenzen zwischen Architektur und Kunst würden zusehends verschwimmen und explizit eine Biennale der Architektur zu Wasser ließ, ist die Kunst nicht zu bremsen und bedient sich fast aller Genres – Film, Fotografie, Poesie, Performance und ein wenig Dada wechseln sich ab mit Malerei, Skulptur und eben auch Architektur. Die Kunst kennt eben keine Grenzen, während Architektur auf Grenzen basiert. 2016 gibt es die nächste Chance, diese zu sprengen.
Zum Thema:
56. Kunstbiennale Venedig
Bis 22. November 2015
www.labiennale.org
www.mosque.is
www.deutscher-pavillon.org
www.prohelvetia.ch
www.austrianpavilion.at
www.oca.no
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