Machen wir uns nichts vor. Dieser letzte Buchtipp des Jahres, sieben Tage vor Heiligabend, ist ein gehobener Last-Minute-Shopping-Tipp. Das entsprechende Buch hat natürlich einige Kriterien zu erfüllen. Schön anzusehen und reich bebildert muss es ganz unbedingt sein. Aber vielleicht doch mehr als ein bloßer Bildband, der in einer Viertelstunde durchgeblättert ist. Und auf keinen Fall sollte es zu spezialistisch zugehen. Das Thema muss allgemein anschlussfähig sein. Und Freude bereiten.
So gesehen ist es ein Glücksfall, dass vor einigen Monaten die lange angekündigte Publikation Architektur – gezeichnet. Vom Mittelalter bis heute von Klaus Jan Philipp erschienen ist. Denn sie erfüllt alle oben definierten Kriterien. Der Autor ist Leiter des Instituts für Architekturgeschichte an der Universität Stuttgart und gibt doch gleich im Vorwort ganz unakademisch zu, dass es ihm wichtig war, Zeichnungen zu diskutieren und zeigen, „deren Betrachten einfach Freude bereitet“.
Es ist fast ein bisschen altmodisch und zeugt von einem gewissen wissenschaftlichem Mut, eine solche, im besten Sinne kunsthistorisch-didaktische Überblicksdarstellung zu wagen, die bei einem 4.000 Jahre alten, geritzten Grundriss anfängt und nur 250 Seiten später bei einem Inkjet von Li Han aus dem Jahr 2017 endet. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Buch die – übrigens exzellent gedruckten – Zeichnungen mit dem ihnen gebührenden Platz präsentiert. Das heißt: Man erfährt hier einiges, aber wird keineswegs von Textmengen erschlagen.
Philipp gliedert das Buch entlang von Darstellungsmodi und stellt diese in ihrem historischen Wandel dar, fängt also meist im Mittelalter an und arbeitet sich jeweils bis zur Gegenwart vor. Ein gewisser Fokus auf Spätmittelalter und frühe Neuzeit zieht sich dabei durch das Buch. Das erste große Kapitel ist Grundriss, Schnitt, Aufriss, deren Kombination und den nichtperspektivischen Projektionen Isometrie und Axonometrie gewidmet. Das zweite Kapitel behandelt verschiedene Formen der Perspektive. Das Buch ist flott zu lesen, denn Philipp schreibt verständlich und eingängig. Seine Publikation ist ein echter Schnelldurchgang durch die Architekturgeschichte, gespickt mit pointierten Beobachtungen und ohne Scheu, weite argumentative Bögen über die Jahrhunderte hinweg zu schlagen.
Letztlich geht es Philipp um die große, fast schon überzeitliche Frage, die Architekt*innen bis heute antreibt: Welche ästhetischen Möglichkeiten stecken in der Architekturzeichnung? Und auf welche Weisen kann sie architektonisches Wissen und entwerferische Visionen bildlich vermitteln? Wer in weihnachtlicher Stimmung durch dieses Buch blättert und sich an den fantastischen historischen Darstellungen erfreut, sollte jedoch weder nostalgisch noch wehmütig werden. Die kreativsten Köpfe der kommenden Generation arbeiten bereits an neuen Darstellungsmethoden.
Text: Gregor Harbusch
Architektur – gezeichnet. Vom Mittelalter bis heute
Klaus Jan Philipp
258 Seiten
Birkhäuser, Basel 2020
ISBN 978-3-03821-563-9
79,95 Euro
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Kim | 22.12.2020 13:38 Uhr@mehmet
Schon wieder ein Kommentar, den ich nicht verstehe (vielleicht liegt das an mir...). Robert wundert sich über die schlechte Qualität VIELER digitaler Darstellungen, Sie heben die gute Qualität EINIGER solcher Darstellungen hervor. Sie hätten z.B. viel besser mit guten Beispielen geantwortet. Stattdessen bemühen Sie reflexhaft die Beschwerde über "Wir in Deutschland". Sie illustrieren weder das eine noch begründen das andere. Ich kenne niemanden, der zwischen Zeichnung und Rendering unterscheidet, sofern der Zweck des Produkts klar ist, die Ebene der Vermittlung stimmt und eine klare Kommunikation aufgemacht wird. Und ihr Beispiel Skywalk: Ist er deswegen bekannt, weil er sich durch eine besondere Methode der Herstellung auszeichnet oder ist es die Idee dahinter, die im Kopf bleibt?