RSS NEWSLETTER

https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Architektonische_Konzepte_der_Rekonstruktion_7093866.html

08.01.2020

Zurück zur Meldung

Buchtipp: Abkühlung einer hitzigen Debatte

Architektonische Konzepte der Rekonstruktion


Meldung einblenden

Die kürzliche Wiedererrichtung eines ganzen Altstadtquartiers in Frankfurt am Main oder das Wiederaufbauvorhaben der Garnisonkirche in Potsdam sind nur die aktuellsten Beispiele, die belegen, dass Rekonstruktionen historischer Bauten in Deutschland immer wieder heiß diskutiert werden. Dabei geht es vor allem um die moralische Frage nach dem „Ob” von Rekonstruktionen – weitaus seltener dreht sich die Debatte um das „Wie”. Auf welche Art historische Bauten nach Zerstörung oder Verlust wiedererrichtet werden können, geht der Kunsthistoriker und Baunetz-Autor Alexander Stumm in seinem Buch Architektonische Konzepte der Rekonstruktion nach, das in der Reihe Bauwelt-Fundamente erschienen ist. Mit seiner Darstellung unterschiedlicher praktizierter Ansätze zeichnet Stumm die 150-jährige geistige Geschichte der Denkmalpflege nach. Vor allem aber legt er zu einem aktuellen Reizthema eine wohltemperierte Klärung des Rekonstruktionsbegriffs vor.

Fünf architektonische Konzepte macht Stumm als maßgeblich in der europäischen Denkmalpflege aus, die er anhand von 18 Fallbeispielen aufschlussreich erläutert: die „historistische Rekonstruktion”, die „interpretierende Rekonstruktion”, die „archäologische Rekonstruktion”, die „konzeptionelle Rekonstruktion” und die „historische Simulation”. In den gegenwärtigen Rekonstruktionsprojekten Berlins sieht Stumm schließlich eine Vermengung all dieser verschiedenen Konzepte. Für Franco Stellas Stadtschloss etwa attestiert er ein „undialektisches, sich drängendes Nebeneinander” von Simulation, historistischer Rekonstruktion und zeitgenössischen Bauteilen, das „keine Grenzen kennt“.

„Weltgeist“, „Aura“, „Rhizom” – Stumm greift immer wieder auf abstrakte Termini zurück. Er muss, denn will er den verschiedenen Rekonstruktionsbegriffen auf den Grund gehen, betritt er unweigerlich philosophisches Terrain. Sehr klar bettet er die verschiedenen denkmalpflegerischen Ansätze in Theorien ein. Er verknüpft etwa John Ruskins Gedanken zur materiellen Substanz als Denkmal mit Hegels linearem Geschichtsverständnis. Und er zieht eine Linie zwischen Walter Benjamins hochkomplexen Überlegungen zur Übersetzung von Texten und der konzeptionellen Rekonstruktion von Gebäuden. Die konzeptionelle Rekonstruktion eignet sich nämlich den Vorgängerbau nur „selektiv“ an, vergleichbar mit Benjamins Gedanken zur Übersetzung eines Textes, die diesen lediglich berühre wie die Tangente einen Kreis. Der Wiederaufbau der Kreuzkirche in Dresden von Schilling und Gräbner (1897–1900) oder der Umbau des Bankside Power Station zur Tate Modern von Herzog & de Meuron (1995–2000) sind ihm Beispiele für diesen abstrahierenden Ansatz.

Stumms aufschlussreiche theoretische Verknüpfungen fixen durchaus an, doch lässt er die eingestimmten Leser*innen ein wenig an der Oberfläche sitzen. In seinen Ausführungen ruft der Autor nur eine Idee davon wach, welch große gesellschaftliche Dimension die Frage nach der Art einer Rekonstruktion von Gebäuden haben kann. Hier bleibt Stumm zurückhaltend. Mit seinem Band will er lediglich einen „praktischen Leitfaden für Denkmalpfleger und Architekten“ aufstellen. Die kritische Interpretation der gesellschaftlichen oder gar ethischen Bedeutungen der verschiedenen Wiederaufbaukonzepte überlässt er seinen Leser*innen. Dafür aber gibt der Autor ihnen solides geistiges Rüstzeug auf den Weg.

Text: Sophie Jung

Architektonische Konzepte der Rekonstruktion
Alexander Stumm
224 Seiten
Birkhäuser Verlag, Basel 2017
ISBN 978-3-0356-1336-0
29,95 Euro


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

1

STPH | 08.01.2020 16:18 Uhr

...

einfach mal 100 Jahre weiter denken, was sich die Nachfahren von der historischen Situation wünschen. Wir sind hier nur Transmitter die sich nicht interpretierend dazwischendrängeln sollen, um so möglichst viel vom alten hinüberzuretten.

Bei Sanierungen gilt: lass die Finger von Gebäuden, deren Stil dir widerstrebt, das Du nicht von innen heraus verstehst. Deine Auffassung kannst Du auch an eigenen Gebäuden austoben.

Fazit: keine vermeintlichen Bessermacher.
klingt hart für manche in unseren Augen gelungene, moderne, überlagernde Lösung. In den Augen der Nachfahren ist aber die frankfurter Innenstadtrekonstruktion zielführender, weil räumlich und handwerklich echter.
Die Polen haben es vorgemacht: gutes Handwerk.

 
Mein Kommentar
Name*:
Betreff*:
Kommentar*:
E-Mail*:

(wird nicht veröffentlicht)

Zur Durchführung dieses Service werden Ihre Daten gespeichert. Sie werden nicht an Dritte weitergegeben! Näheres erläutern die Hinweise zum Datenschutz.


Die Eingabe einer E-Mail-Adresse ist zwingend, um einen Kommentar veröffentlichen zu können. Die E-Mail ist jedoch nur durch die Redaktion einsehbar und wird nicht veröffentlicht!


Ihre Kommentare werden nicht sofort veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.



Die Rekonstruktion der Kirche Sainte-Marie-Madeleine in Vézélay (1840-1858) ist ein frühes Beispiel der Denkmalpflege. An ihr erprobte Viollet-le-Duc seine Spielart einer historistischen Rekonstruktion.

Die Rekonstruktion der Kirche Sainte-Marie-Madeleine in Vézélay (1840-1858) ist ein frühes Beispiel der Denkmalpflege. An ihr erprobte Viollet-le-Duc seine Spielart einer historistischen Rekonstruktion.

Das Castelvecchio in Verona von Carlo Scarpa ist Ausdruck einer interpretierenden Rekonstruktion (Rekonstruktionsphase: 1957-75)

Das Castelvecchio in Verona von Carlo Scarpa ist Ausdruck einer interpretierenden Rekonstruktion (Rekonstruktionsphase: 1957-75)

Andrea Brunos Umbau (1979-84/1993-99) des Castello di Rivoli bei Turin zeigt eine archäologische Rekonstruktion und die klare Umsetzung der Charta von Venedig (1964).

Andrea Brunos Umbau (1979-84/1993-99) des Castello di Rivoli bei Turin zeigt eine archäologische Rekonstruktion und die klare Umsetzung der Charta von Venedig (1964).

Bildergalerie ansehen: 14 Bilder

Alle Meldungen

<

08.01.2020

Versinkende Mammuts im Asphalt

Weiss/Manfredi planen in Los Angeles

08.01.2020

Freistehende Schönheit

Gesucht: Häuser des Jahres 2020

>
baunetz CAMPUS
Learning from Grabs
Baunetz Architekt*innen
KRESINGS
Stellenmarkt
Neue Perspektive?
vgwort