Auf einer hochkarätig besetzten Veranstaltung diskutierten am Abend des 27. März 2000 ca. 100 geladene Architekten und Journalisten mit dem „Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien“, Staatsminister Michael Naumann. Dabei wurden im Verlauf einer zeitweise hitzig geführten Debatte mehrheitliche Enttäuschung über einige zentrale Äußerungen Naumanns deutlich. Die Initiative zu dem Gesprächsabend war von der Bundesarchitektenkammer ausgegangen, deren Präsident Peter Conradi das Gespräch leitete.
Zunächst fassten in einer Einleitungsrunde drei Gesprächsteilnehmer aus dem Umfeld der Architektenschaft die wichtigsten berufspolitischen Probleme zusammen: Der Kritiker Wolfgang Pehnt sprach über die Folgen des „Verschwindens des Bauherrn“, die Auswirkungen der Globalisierung, die inzwischen desolate Lage des Wettbewerbswesens durch die EU-domionierte Verfahren sowie die „Lethargie der Ämter“ als Vertreter des öffentlichen Bauherren. Ursula Baus von der „db“-Redaktion referierte über die Lage der Architektur in der Öffentlichkeit, namentlich in den Medien. Der Architekt Matthias Sauerbruch schließlich bezeichnete die Baukunst als „einen der wichtigsten, wenn nicht den wichtigsten Teil der Kultur“ und beklagte, dass der Staat das Bauen eher als „technisches Metier“ begreife. So säßen in Bausitzungen für ein öffentliches Bauwerk unter 21 Teilnehmern nur drei Architekten. Die deutsche Architektur brauche sich im internationalen Vergleich keineswegs zu verstecken, sie müsse aber auch richtig vermarktet werden. Er verwies in diesem Zusammanhang auf ausländische Beiträge des Staates zur Förderung der Baukultur, etwa in den Niederlanden oder in Finnland.
Staatsminister Naumann konterte mit einigen Bemerkungen, die zum Teil großen Unmut auslösten. So entgegnete er auf die Kritik am Verfahren für den deutschen Expo-Pavillon (Meinhard v. Gerkan: „Der Pavillon ist eine Beleidigung der Nation“), man müsse dabei aber auch als positiv werten, dass hier ein Einzelunternehmer das finanzielle Risiko trage (Meinhard v. Gerkan: „Ich bin mir sicher, dass er damit einen Gewinn macht, auch wenn ich es nicht überprüfen kann“). Später fügte Naumann zweideutig hinzu, die Anwesenheit von Journalisten machten es ihm unmöglich, etwas Schlechtes über den Pavillon zu sagen, da er von Amts wegen im Aufsichtsrat des Betreibers sitze.
Die Kritik am strukturellen Niedergang des Wettbewerbswesens konterte er mit einem als sachlich unpassend empfundenen Einzelbeispiel, bei dem Vertreter der Architektenschaft auf der Durchführung eines Wettbewerbs bestanden hätten.
Als Beispiel für missglückte Architektur nannte er die Ruhr-Universität Bochum, die eine der höchsten Selbstmordraten aufzuweisen habe, und fügte hinzu: „Das haben gefeierte Architekten gebaut“.
Schließlich behauptete er, die Architekturkritik im Feuilleton der großen Zeitungen nehme heute einen geringeren Raum ein als in den sechziger und siebziger Jahren. Ihm fiele als einziger Autor eigentlich nur Michael Mönninger ein. Der im Saal anwesende Mönninger hielt dem entgegen, dass es einen ganzen Berufsstand der Architekturkritiker gebe, der mindestens 50 ihm ebenbürtige Kollegen umfasse.
Das Gespräch wurde von Ursula Baus mit der Bemerkung zusammengefasst, man erwarte vom Kultur-Staatsminister keine Meinungsführerschaft zu Einzelfragen, etwa dem Berliner Schlossplatz, sondern Unterstützung beim Aufbau von Strukturen zur Förderung der Baukultur. Naumann hatte dazu entgegnet, eine von der Bundesregierung zentral geförderte Architekturpolitik hätte wegen Zuständigkeitsproblemen Schwierigkeiten zu erwarten.
Gleichwohl kündigte er einen neu zu gründenden „Taut-Preis“ zur Würdigung des „Lebenswerks“ jüngerer Architekten an. Genaueres über Modalitäten der Auslobung und zur Dotierung teilte er nicht mit. Weiterhin werde eine Ausstellung über die deutsche Architektur der neunziger Jahre zusammengestellt, die im Ausland auf Tournee gehen solle.
Nach einer Pause, während derer ein hochrangiger Teilnehmer die Auffassungen Naumanns als „desaströs“ bezeichnete, beruhigten sich die Gemüter etwas. Etliche Architekten, unter ihnen Albert Speer und Christoph Ingenhoven, kritisierten den anklagenden Tenor der Veranstaltung und fanden moderatere Töne. BDA-Geschäftsführer Carl Steckeweh vermisste die Vorbildfunktion des öffentlichen Bauherrn und forderte in Anlehnung an Adolf Arndt „die Demokratie als Bauherrn“. Der Berliner Kammerpräsident Cornelius Hertling resümierte schließlich launig, man könne niemanden zur Liebe zwingen. Aber Hass könne sich in Liebe verwandeln. An Naumann gerichtet, fuhr er fort: „Dass Sie uns Architekten so provoziert haben, ist vielleicht der erste Schritt zur Liebe“.
Benedikt Hotze
Foto: -tze