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04.05.2016

Mäcklers harte Runde

Architekten streiten über die Fassade


Matthias Sauerbruch und Volker Staab zählten vielleicht zu den Jüngsten: Vergangene Woche traf sich zum siebten Mal der Kreis um Christoph Mäckler und diskutierte über die Fassade – eine teils heftige Debatte einer harten Runde mit Randpositionen, konservativen Tiefpunkten und überraschenden Abgängen, meint unsere Autorin.

Beobachtungen von Sophie Jung


Die Fronten sind hart unter Architekten, geht es einmal um den Blick auf die Geschichte. Wie ist es zu bewerten, wenn der Dom Römer in Frankfurt nach historischem Muster wieder aufgebaut wird oder die Stadt Lübeck eine Volkshochschule der Nachkriegszeit abreißt, um im Gründungsviertel moderne Giebelhäuschen in eine kleinteilige Parzellenstruktur zu setzen? Noch detaillierter: In Berlin hat Architekt Tobias Nöfer (Berlin) ein Akanthus-Blatt auf die Fassade eines Bürobaus gesetzt, und dies mitten in Kreuzberg. Zeugen diese Beispiele für eine böse Rückwärtsgewandtheit oder für eine zeitgenössische Form, Architektur wieder eine räumliche und historische Tiefe zu geben?

Jede Gesellschaft habe ihre eigene Kunst, ein Rückblick wäre Verrat an der Gegenwart, meint etwa Boris Schade-Bünsow, Chefredakteur der Bauwelt. Der Potsdamer Kunsthistoriker Peter Stephan hingegen glaubt an zeitlose Gestaltungsprinzipien. Und Arnold Bartetzky von der Universität Leipzig fordert weder den Rückgriff auf die Geschichte noch das totale Jetzt, aber eine Demut gegenüber der historisch gewachsenen Stadt. Diese drei Positionen sind nur ein Ausschnitt aus der heftigen, weit auseinander laufenden Debatte, die letzte Woche in Düsseldorf ausgetragen wurde. Dort kam nämlich auf Einladung des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst der TU Dortmund eine hohe Riege deutscher Architekten, Planer und Theoretiker zusammen, um über nichts Geringeres als die „Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“ zu diskutieren.

Schon der Titel dieser jährlichen und nun zum siebten Mal durchgeführten Zusammenkunft sorgte für Hitze, hantiert er doch mit dem schwierigen Schönheitsbegriff, der sich nur bei Objekten sicher anwenden lässt, und interpretiert die Stadt zugleich als lebenden, gleichsam vom Aussterben bedrohten Organismus. Matthias Sauerbruch (Berlin) hat bei seinem kurzen Auftritt letzten Donnerstag auch nichts anderes getan, als sich von diesem Titel mächtig zu distanzieren. „Schönheit“, so sagte er, „ist ein Instrument des Immobilien- bzw. Finanzmarktes!“ Zuallererst komme der Zweck eines Gebäudes. Noch ein provokativer Wink zum Gastgeber Christoph Mäckler (Frankfurt), der dem Dortmunder Institut für Stadtbaukunst vorsteht, und weg war Sauerbruch.

Ursprung dieser hitzigen Reaktionen ist ein eigentlich sehr greifbares Motiv: die Fassade. Sie war das Hauptthema der diesjährigen Konferenz. Neben theoretischen und politischen Vorträgen waren 21 Architekten (darunter zwei Damen) geladen, über ihre Fassaden zu sprechen, von Düsseldorf bis Leipzig, von Christoph Ingenhoven bis Ansgar Schulz. Doch nicht um die Fassade als Gewand für das einzelne Gebäude ging es bei all diesen Beiträgen, sondern als städtebauliche Größe.
 
Die Fassade ist Schnittpunkt zwischen dem öffentlichen Raum und dem privaten Raum. Das ist die Hauptthese der Veranstalter. Ihre Vermittlungsrolle zwischen dem Individuellem, nämlich dem Innenleben eines Gebäudes, und der Gesellschaft, dem Außenleben, sollte sich in ihrer Gestaltung widerspiegeln. Auf diese Grundsätzlichkeiten konnten sich alle einigen. Ebenso befürworteten alle, dass die Stadt ein heterogener Ort sein solle. Das Gegenbeispiel Suburbia sei „die Rückkehr ins Stammesleben“, so zitierte Mitveranstalter Wolfgang Sonne zu Beginn den US-amerikanischen Soziologen Richard Sennett und erntete zustimmendes Kopfnicken in der Runde.
 
Gute und überlegenswerte Schlagworte wurden zur Diskussion gebracht: Eine Offenheit der Fassade etwa, fordert Sonne, eine ansprechende Haptik, ja, eine gewisse Redseligkeit. Christoph Mäckler wünscht sich das ordentliche Handwerk und das gute Detail wieder zurück. Peter Stephan versteht in seinem kunsthistorischen Vortrag über Berlin die Fassade als Bühne, die in Form von Öffnungen und Durchgängen, Ornament und Bild einen szenischen Raum ermöglicht.
 
Doch was ist nun das reale städtebauliche und architektonische Outcome dieser Gedanken? Das Gründungsviertel in Lübeck wurde als ein Beispiel herangezogen. Vornehmlich junge Büros – Christoph Mäckler sah in diesem Umstand die Zeitgemäßheit des Lübecker Projekts bestätigt – haben an dem Wettbewerb zum Wiederaufbau des Viertels teilgenommen. Feine Backsteinverbände oder abstrahierte Barockfassaden mit Gesimsen entwickelten etwa Anne Hangebruch (Berlin) und Samuel Lundberg (Stockholm). Sind nun Giebelhäuser mit einer Neuinterpretation des Alten die Antwort auf die Forderung nach Offenheit, Redefreude und die hochgehandelte soziale Verantwortung der Fassade?
 
„Das interessiert mich alles nicht“, war die Reaktion von Christoph Ingenhoven (Düsseldorf). Ihn interessiere die „Performance“ einer Fassade und die spezifische „Aufgabe eines jeden Baus“, kurz: „das Jetzt“! Das „Jetzt“ gegen ein „Gestern“ oder „Vorgestern“, damit waren die Fronten gezogen. Selbst ein moderater Beitrag von Ludwig Wappner (München) konnte nicht erweichen. Wappner stellte eines seiner Münchner Wohnhausprojekte vor, das in Traufhöhe, Fassadenstrukturierung und Putz einerseits die historische Umgebung spiegelt, andererseits über Brüche und Einschnitte in die Gebäudefigur visuell mit statischen Gesetzen bricht. Aus dem Publikum kam die Bemängelung, diese Architektur würde ästhetisch die Kräfte aus der Balance bringen. Und wenn die Fassade keine Stabilität vermittele, dann würde sie eine ebenso unstabile Gesellschaft widerspiegeln. Uff, damit war die Diskussion auf ihrem konservativen Tiefpunkt angelangt.
 
Bei so viel Gestaltlehre und Ewigkeitsästhetik ist leider ein Punkt ungenügend behandelt worden: der Wohnungsbau. Der Vortrag von Staatssekretär Gunther Adler, in dem er den Bau von 350.000 Wohnungen jährlich sowie eine neue Baugebietskategorie, das urbane Gebiet, ankündigte, versackte ebenso schnell wie dieser geschwinde Politiker kam und ging. Das ist schade, denn ob Nöfer-Akanthus, italienisierende Kollonadengänge, Glas-Performance oder Neu-Lübecker-Backsteinverband: Im Wohnungsbau wird eine neue Massenarchitektur entstehen, die dringend eine gestaltete Fassade braucht. Dass dieses aktuelle Thema in der Konferenz vernachlässigt wurde, zeigt das Debakel in dieser Runde von Etablierten und Betagten auf. Viele verhärten sich auf ihre Position, die Sachfrage wird zur Stilfrage. Um barocke Gesimse versus Corten-Stahl geht es jedoch nicht, sondern um das Gebäude als gesellschaftliches Statement.


Zum Thema:

www.stadtbaukunst.tu-dortmund.de


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Mäcklers Stuhlkreis

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Konferenzleiter Christoph Mäckler

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Aufmüpfiger Vortrag von Christoph Ingenhoven

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