Viel zu selten nimmt sich die Architekturkritik Zeit, um ein Gebäude auch etliche Jahre später noch einmal zu besuchen und zu prüfen, ob es gemäß seinen ursprünglichen Intentionen funktioniert. Das Buch Architecture of Coexistence: Building Pluralism von Azra Akšamija, das im Zusammenarbeit mit und finanziert durch den Aga Khan Award entwickelt wurde, macht erfreulicherweise genau dies: Es diskutiert drei Projekte, die bereits kurz nach Fertigstellung mit dem Aga Khan Award ausgezeichnet wurde, der ja gezielt auf Entwürfe blickt, die für oder von muslimischen Gemeinden gebaut wurden. Für Architecture of Coexistence sollten diese Projekte noch einmal neu vorgestellt und untersucht werden, wie gut oder schlecht sie gealtert sind. Das ist zunächst einmal ganz grundsätzlich ein Ansatz, den man vielen anderen Preisen, die kurz nach Fertigstellung vergeben werden, ebenfalls wünschen will.
Die Wahl fiel auf drei Projekte in Europa, denn das Buch dreht sich um die Frage, inwiefern Architektur und Städtebau die Bildung einer offenen, inklusiven und toleranten Gesellschaft unterstützen können. Die drei Projekte sind ebenso unterschiedlich wie folgerichtig: Die Weiße Moschee in Visoko (Bosnien-Herzegowina) von 1980, der Islamische Friedhof im österreichischen Altach von 2011 sowie der innerstädtische Park Superkilen in Kopenhagen aus dem Jahr 2012. Es handet sich also um Projekte in Gesellschaften, die entweder keine oder im Falle von Bosnien-Herzegowina auf eine sehr spezielle muslimische Geschichte zurückblicken. Und alle drei sind Gesellschaften, die seit einigen Jahrzehnten eine starke, unter anderem auch muslimisch geprägte Immigration erleben.
Um die drei Projekte mit ihren Intentionen und Folgen zu erschließen, geht das Buch wiederum je drei Wege. Zu jedem Thema gibt es einen theoretischen oder historischen Essay, der sich entweder der Typologie oder der Situation der muslimischen Gemeinschaft im jeweiligen Land widmet. Dazu kommen Interviews mit den direkt am Projekt Beteiligten (Architekt*innen, Politiker*innen, Imame, Nutzer*innen und Anwohner*innen) sowie neu aufgenommene Fotoessays von Cemal Emden, Jesper Lambæk, Nikolaus Walter oder Velibor Bozović.
Kurz gesagt, ist aus diesem Ansatz ein ebenso ambitioniertes wie grandioses, vielstimmiges, kluges und unterhaltsames Buch geworden. Es ist dabei nicht nur gelungen, die Projekte in ihrem gealterten Zustand und in ihrer Funktion für die jeweilige Gemeinde zu untersuchen, was ja schon komplex genug wäre, sondern auch noch zusätzlich weit über diese Themen hinaus zu führen, um in vielerlei Aspekten grundsätzlich über den Zustand unserer heutigen Gesellschaften mit einer multikulturellen Gegenwart nachzudenken.
Dabei gelingt es immer wieder, die globalen Gedanken einzufangen, bevor sie sich in einer all zu großen Allgemeinheit verlieren könnten – und auf die Architektur und deren konkreten Gestaltungsanspruch zurück zu kommen. Alleine die Geschichte über den Streit um den Bau der Weißen Moschee in Visoko, die mit ihrem Anspruch, modernere Formen für den traditionellen Moscheebau zu finden, die Gemüter in der muslimischen Gemeinde erregte, ist es wert, dieses Buch zu lesen. Dass es darüber hinaus durch Julia Wagner von der Grafikanstalt noch ausgesprochen angenehm gestaltet wurde und trotz seiner Fülle leicht in der Hand liegt, macht es rundum empfehlenswert. Nicht nur für all jene, die von Weihnachten vielleicht noch einen Buchgutschein übrig haben.
Text: Florian Heilmeyer
Architecture of Coexistence. Building Pluralism
Azra Akšamija (Hg.)
292 Seiten
Architangle, Berlin 2020
ISBN 978-3-96680-008-2
38 Euro