Was haben renommierte Projekte wie Citè du Grand Parc in Frankreich, PC Caritas in Belgien oder SESC 24 de Maio in Brasilien mit einer Tofufabrik in China, einem Friendship Centre in Bangladesch oder dem Haus der Statistik am Berliner Alexanderplatz gemeinsam? Sie alle belegen, dass Planung und Bauen möglich ist, ohne Ressourcen und Arbeit auszubeuten oder sich dem Diktat des Kapitals zu unterwerfen. Insgesamt 21 solcher Projekte findet man in Critical Care. Architecture and Urbanism for a Broken Planet, das auf einer rund vierjährigen Recherche der Herausgeberinnen Angelika Fitz und Elke Krasny basiert. Die Publikation erschien begleitend zur Ausstellung gleichen Namens im Architekturzentrum Wien Az W im letzten Jahr. In dem rund 300 Seiten starken Buch werden Neubauten, Sanierungen, infrastrukturelle Projekte, Umbauten und Initiativen gleichberechtigt vorgestellt. Es geht um Gemeinwohl, Ökologie, Feminismus, Wirtschaft, Kolonialismus, Bodenpolitik und Migration – das alles selbstverständlich mit Fokus auf Architektur und Städtebau.
Mit dem Begriff „critical care“ – was sowohl „Intensivpflege“ als auch „Sorgetragen“ bedeutet – beschreiben Fitz und Krasny die ernsthafte Lage der Erde, die sich „in der Notaufnahme befindet“. Unwetter, Erdbeben, Überschwemmungen, Schneemassen, Hitzewellen, steigender Meeresspiegel, Wasserverschmutzung, Verwüstungen, Waldbrände – die Liste der Umweltprobleme und -katastrophen, die unser Planet im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts erlebt hat, ist lang. Bereits in den 1970er-Jahren wiesen Wissenschaftler*innen darauf hin, dass der Mensch für den gefährlichen Zustand des Planeten verantwortlich sei, doch unser Wirtschaftssystem schließt weiterhin das Sorgentragen für den Planeten zum größten Teil aus.
Critical Care ist ein intensives Plädoyer für eine neue Haltung der Architektur und des Städtebaus des Sogetragens. Der erste Teil des Buches versammelt insgesamt zwölf Essays. In vier Kapiteln – Sorgetragen, Ökologie, Arbeit und Wirtschaft – besprechen die Autor*innen anhand konkreter Beispiele die Abhängigkeiten der Planung von Politik und Kapitalismus. Der zweite Teil beinhaltet Projekte aus der ganzen Welt, die alle auf unterschiedliche Weise ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten kritisch angehen und produktiv neu deuten.
Die Fallbeispiele sind thematisch gegliedert: Pflege der Katastrophenhilfe, Pflege von Wasser und Land, Pflege des öffentlichen Raums, Pflege des Grenzlandes, Pflege der Kompetenzen, Pflege der Reparatur und Pflege der lokalen Produktion. Dabei geht es natürlich nicht allein um Architekt*innen, sondern es werden ausdrücklich alle beteiligten Institutionen genannt, die als „Agenten des Sorgetragens“ bezeichnet werden und das Neudenken von Interdependenzen möglich machen. Die Beispiele verdeutlichen, dass Architektur und Städtebau tatsächlich die Fähigkeit besitzen, Dinge zu reparieren um „die Erde wieder lebenswert zu machen.“
Text: Mariam Gegidze
Critical Care. Architecture and Urbanism for a Broken Planet
Angelika Fitz und Elke Krasny (Hg.)
304 Seiten
Englisch
MIT Press, Cambridge/London 2019
ISBN 978-0-262-53683-7
38,80 Euro
Zum Thema:
Am Freitag, 7. Februar 2020 um 19 Uhr Eröffnet die Ausstellung, nach einer Übernahme vom Az W, im Deutschen Architekturzentrum Berlin DAZ. Bis zum 22 März 2020 kann man sie dort finden. Zur Vernissage spricht unter anderem die Herausgeberin des Buches und Direktorin des Az W Angelika Fitz. Mehr Infos hier.