Vom 5. bis 9. Oktober 2022 präsentiert das Architecture Film Festival Rotterdam wieder ein umfangreiches Programm. Die 14. Ausgabe des weltweit größten Festivals seiner Art lädt angesichts der vielen Turbulenzen unserer Zeit unter dem Obertitel „Freeze Frame“ zum Innehalten und Nachdenken ein. Diana Artus hat sich vorab zwei Filme angesehen.
„Best in the World“
Menschen radeln durch verkehrsberuhigte Straßen, flanieren am Wasser oder sitzen gesellig auf Caféterrassen, während rundum Kirschbäume blühen – der diesjährige Eröffnungsfilm fährt mit ruhiger Kamera durch eine fotogene Stadtlandschaft: Kopenhagen. Doch schnell schleicht sich ein latentes Unbehagen in den makellosen Bilderfluss, denn in zahlreichen Gesprächen, unter anderem mit Stadtplaner
Jan Gehl und Architekt
Charles Bessard, wird eins immer klarer: Die dänische Hauptstadt ist zwar in puncto Lebensstandard die vielleicht beste Stadt der Welt – aber immer mehr ihrer Einwohner*innen werden aus finanziellen Gründen zu bloßen Zaungästen dieser Bilderbuchkulisse.
Filmemacher
Hans Christian Post, der selbst in Kopenhagen lebt und sich zuletzt mit
architektonischer Vergangenheitsbewältigung am Beispiel Dresden auseinandersetzte, verfolgt in seinem neuen Dokumentarfilm den Wandel von der einst rauen Working Class City zur glatt optimierten Komfortfassade, hinter der sich eine monokulturelle Blase gebildet hat. Wie vielerorts zeigt sich auch in Kopenhagen, das als Vorbild nachhaltiger Stadtentwicklung gilt, die Abwärtsspirale der Gentrifizierung. Während die Hauptstadt geradezu magnetisch Investitionen anzieht, geraten strukturschwache Regionen wie die Insel Lolland immer weiter ins Abseits.
Die durch City Branding überformte Metropole entpuppt sich für ihr gesamtes Umfeld als Motor sozialer Ungleichheit, der nicht zuletzt durch billige Kredite immer weiter angetrieben wird. Am Ende steht die Frage, wie lange eine ganze Stadtgesellschaft noch bereit ist, diesen Preis zu zahlen, damit sich ein kleiner Teil von ihr in einer krisengeplagten Gegenwart der Illusion einer heilen Welt hingeben kann.
Best in the World Hans Christian Post
Dänemark 2022, mit englischen Untertiteln
56 Minuten
Trailer
„Robin Hood Gardens“Ein Frachtkahn tuckert auf Venedig zu. An Bord: Ein Fassadenfragment der 1972 in East London fertiggestellten Wohnsiedlung
Robin Hood Gardens. Es gehört dem Victoria & Albert Museum, das die Überreste im Zuge des
Abrisses der beiden von
Alison und Peter Smithson entworfenen Wohnblöcke für seine Sammlung erwarb und 2018 bei der
Architekturbiennale präsentierte. Kurz vor dem endgültigen Verschwinden des von Anfang an umstrittenen Komplexes haben die Leipziger
Adrian Dorschner und
Thomas Beyer 2017 Robin Hood Gardens noch einmal mit ihrer Kamera besucht und zahlreiche Gespräche mit Architekturexpert*innen und Bewohner*innen geführt.
Wir sehen, wie Fotografin
Hélène Binet versucht, ein Stück Architekturgeschichte festzuhalten und schauen dem Alltagsleben von Familie Rakib im östlichen Wohnriegel zu. Immer wieder steht dabei die Frage im Raum, warum die Vision der Smithsons letzten Endes scheiterte und die Aufbruchstimmung der Architekt*innen sich nicht auf die späteren Nutzer*innen übertrug. Auch wenn viele die Wohnungen selbst zu schätzen wussten, verkamen Gemeinschaftsflächen wie die „streets in the sky“ – Laubengänge, bei denen die Smithsons an kommunikative Nutzung dachten – schnell zu unbehaglichen und ungepflegten Transitorten.
In einem Interviewfragment der BBC hört man einen fassungslosen Peter Smithson darüber berichten, dass Menschen in den Liften ihre Notdurft verrichten, statt Pflanztöpfe vor die Wohnungstüren zu stellen. Das Auseinanderklaffen von Anspruch und Realität, symptomatisch für viele moderne Wohnsiedlungen, trat bei Robin Hood Gardens besonders deutlich zutage. Nichtsdestotrotz erkundet der Film auf poetische Weise, ob wir nicht doch etwas von dem Entwurf der Smithsons lernen können, um das Leben in der Stadt von morgen zu verbessern.
Robin Hood Gardens
Adrian Dorschner und Thomas Beyer
Deutschland 2022, Englisch
90 Minuten
Teaser
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