Das Rotterdam Architecture Film Festival (AFFR) ist in Europa längst zu einer Institution geworden. Statt eines Mottos bietet das Programm der morgen beginnenden 16. Ausgabe drei Sektionen – Weibliche Perspektiven, Lichtführung und Urbanes Grün. Neu ist auch, dass weitaus mehr Spielfilme gezeigt werden – neben Jonathan Glazers beklemmendem Oscar-Gewinner „The Zone of Interest“ unter anderem „E.1027 – Eileen Gray and the House by the Sea“ von Beatrice Minger und Christoph Schaub. Zwei Dokumentationen sind darüber hinaus besonders empfehlenswert.
Lewerentz Divine Darkness
Wer sich für's atmosphärische Bauen interessiert, kommt an Sigurd Lewerentz nicht vorbei. Doch so haptisch und taktil seine Bauten St. Mark's in Stockholm, St. Peter's in Klippan, so unmittelbar der Blumenkiosk auf dem von ihm gestalteten Malmöer Ostfriedhof erscheinen, der Architekt selbst blieb stets ein Mysterium. Der schwedische Filmemacher Sven Blume hob nun einen Schatz, der jahrzehntelang in einem Keller in Lund verborgen lag: mehrere Film- und Tonbandrollen, auf denen sein Bewunderer, Freund und junger Kollege Bernt Nyberg, den schwedischen Ausnahme-Architekten, der sich zeitlebens Interviews und Werkserklärungen verwahrte, als Menschen einfängt – in hohem Alter, auf der Baustelle in Klippan und im Kreis seiner Familie. Die Aufnahmen zeugen von seiner scheinbar unerschöpflichen Vorstellungskraft, seiner Hingabe an jedes einzelne Projekt und seiner Detailversessenheit, die gleichermaßen in seiner Arbeit und seinem öffentlichen Auftreten Ausdruck fand. Auch persönliche Frustrationen und Entscheidungen, wie die zeitweise Abkehr von der Architektur hin zur Produktion von Bauglas, bekommen Raum. Blume ergänzte das Material um aktuelle Aufnahmen von Lewerentz' Bauten sowie um Archivmaterial der Entstehungszeit, O-Töne von Freunden, Familie und Bauarbeitern. So entstand ein Portraitfilm, der einen der eigensinnigsten Gestalter der Moderne greifbarer denn je werden lässt.
Lewerentz Divine Darkness
Sven Blume
Schweden, 2024
70 min
Charlotte's Castle
Der Eröffnungsfilm des Festivals wird sein Publikum mit einem Lächeln aus dem Saal entlassen: Endlich mal gute Neuigkeiten! Jamie Kastners Interviewfilm zeichnet den (gewonnenen!) Kampf der Bewohnerschaft der Spadina Gardens, einem der wenigen Apartmentkomplexen im von Einfamilienhäusern dominierten Annex von Toronto, gegen den niederländischen Investor und Hauseigentümer ProWinko nach. Kastner fängt die titelgebende, leicht exzentrische Charlotte und ihre nicht weniger individualistischen Mitstreiter*innen mit so liebevollem Blick ein, dass es einfach Spaß macht, dem zugegebenermaßen recht schwarz-weiß gehaltenen Plot zu folgen. Für Farbe sorgen die Mietshaus-Aktivist*innen und ihre eklektisch eingerichteten Wohnungen auf großzügigen edwardianischen Grundrissen selber, und der Sprecher der Investorenfirma inszeniert sich erstaunlich unverhohlen vor der Kamera als Schurke. Ein Plädoyer für Architektur, die Raum für persönliche Geschichten lässt, irgendwo zwischen Agitprop und der Serie „Only Murders in the Building“.
Charlotte's Castle
Jamie Kastner
Kanada, 2022
58 min
Auswahl und Texte: Kathrin Schömer
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Das Festivalprogramm, das unter anderem auch die niederländische Premiere von Bianca Gleissingers „27 Storeys – Alterlaa Forever“ beinhaltet, findet sich unter affr.nl.
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