Mehr als einhundert Architekturführer hat der Berliner Verlag DOM publishers bisher veröffentlicht, darunter nicht nur über weltweit bekannte Metropolen, sondern auch zu eher abseitigen Destinationen wie Pjöngjang, Kabul und Bischkek. Mit dem von Verlagschef Philipp Meuser zusammen mit dem jungen sächsischen Architekten Adil Dalbai herausgegebenen, im April erschienenen Architectural Guide Sub-Saharan Africa – in den die Baunetzwoche #573 schon im Februar einen ersten Blick werfen durfte – hat der Verlag nun einen Architekturführer der Superlative herausgebracht. Nicht um ein einzelnes Land, eine Region oder Stadt geht es – sondern um die architektonische Vermessung eines äußerst vielfältigen Kontinents.
Subsahara-Afrika – dazu zählen 49 Staaten südlich der Sahara. Jedem Staat widmet der reich bebilderte Guide ein Kapitel. Ergänzend dazu finden sich zahlreiche Analysen, Interviews sowie Kurzdarstellungen zu Theorie und Geschichte subsaharischer Baukultur. Es geht um vernakuläres Bauen, koloniales Erbe und tropische Moderne ebenso wie um gegenwärtige Herausforderungen und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen. 338 internationale Autor*innen kommen zu Wort, mehr als 850 Bauwerke werden exemplarisch vorgestellt, 71 Städte porträtiert. Kein Wunder, dass nach sechsjähriger Recherchearbeit statt des ursprünglich angedachten 300-seitigen Buches nun ein acht Kilogramm schwerer Schuber mit sieben Bänden vorliegt.
Die Publikation tritt mit dem Anspruch auf, ein differenziertes, kaleidoskopisches Bild der Architektur Afrikas im 21. Jahrhundert zu zeichnen und will damit eine Lücke schließen. Sie versteht sich als Wissensressource im Stile eines Kompendiums und zugleich als Pionierprojekt. Denn noch immer ist außerhalb Afrikas wenig über das dortige Bauschaffen bekannt, die einschlägige Literatur zum Thema begrenzt. Das kollektive Wissen zu traditionellen Konstruktionsmethoden, Materialien und zur Baugeschichte wird vielerorts vor allem mündlich weitergegeben.
Die Idee, ein Überblickswerk zur Architektur südlich der Sahara zu initiieren, kam Meuser, als er im Rahmen der Betreuung eigener Bauprojekte – sein Büro ist spezialisiert auf Sicherheitsarchitektur und hat bereits mehrere Botschaftsgebäude im Portfolio – immer wieder in Afrika unterwegs war und nach Hintergrundinformationen suchte. Dabei knüpfte er zahlreiche Kontakte zu lokalen Akteur*innen und Expert*innen, von denen viele als Autor*innen am Buchprojekt mitgearbeitet haben.
Das Resultat ist weit mehr als ein klassischer Architekturführer. Neben der systematischen Darstellung einzelner Bauten und Typologien geben zahlreiche Exkurse schlaglichtartig Einblicke in eine Vielzahl von regionalspezifischen Themen – von städtebaulichen Besonderheiten rasant wachsender Agglomerationen über den Umgang mit Migration und Klimawandel bis hin zu globalen Verstrickungen. So erfahren wir beispielsweise, wie sich China mit groß angelegten Infrastrukturprojekten neue Handelswege erschließt, dass Nordkorea bereits achtzehn Länder mit riesigen heroischen Monumenten beschenkt hat und Baukombinate aus dem Ostblock im Kalten Krieg sozialistische Völkerfreundschaft mittels Architektur betrieben.
Band 1, der allein der theoretischen Verortung gewidmet ist, geht auch ganz grundsätzlichen Fragestellungen nach: Was genau ist mit „afrikanischer Architektur“ gemeint? Wer waren und sind die lokalen Protagonist*innen? Welche Potenziale, Ressourcen und Problemlösungsstrategien hält diese Baukultur bereit?
Text: Diana Artus
Architectural Guide Sub-Saharan Africa
Philipp Meuser und Adil Dalbai (Hg.)
Englisch
7 Bände im Schuber, 3.412 Seiten
DOM publishers, Berlin 2021
ISBN 978-3-86922-400-8
148 Euro