Eine gute Tischordnung ist ein Meisterwerk. Je nachdem, wie gekonnt auch einander fremde Gäste bei einem gesetzten Essen platziert sind, verlaufen die Gespräche. An einer Ecke der Tafel tritt nach dem Austausch von Höflichkeiten schnell betretenes Schweigen ein. An anderen Ecken fliegen Funken, Sätze und Gedanken, und es gäbe tausend weitere Themen zu besprechen, würde der Gastgeber die Runde nicht irgendwann hinauskomplimentieren. Ein bisschen so ist es auch mit dem Buch „Architects on Architects“. Es hat ganz und gar nichts mit Abendessen zu tun. Aber es versammelt verschriftlichte Dialoge zwischen Architekt*innen, Künstler*innen und Theoretiker*innen, die mal mehr und mal weniger zünden.
Zum 150-jährigen Bestehen der TU München führten zwei Lehrstühle der Architekturfakultät im Sommersemester 2018 eine Veranstaltungsreihe durch, bei der Architekt*innen über ein Vorbild aus der Architekturgeschichte referieren sollten. Das ist prinzipiell vielversprechend, weil auch geübte, bisweilen schon von sich selbst gelangweilte Vortragende ganz anders aus der Reserve kommen, wenn sie mal keinen Werkbericht halten, sondern mehr aus dem Nähkästchen plaudern. Sie herauszufordern, etwas über die Inspiration oder eine besondere Prägung durch einen anderen Architekten offen zu legen, ein fremdes Werk und dessen Einfluss auf sie öffentlich einzuordnen, war definitiv eine gute Idee. Das bestätigt auch ein als erweitertes Vorwort eingefügter Vortrag von Mauro Marzo über „Lesarten der Architektur“.
Zusätzlich fanden im Rahmen der Reihe Dialoge zwischen den Referenten und einem Experten oder einer Expertin statt, die das jeweilige Thema vertiefen sollten. Das Buch dokumentiert einen Vortrag und sieben dieser Zwiegespräche. Während Tom Emerson und die Künstlerin Monika Sosnowska über Mies van der Rohe nicht so richtig in Fahrt kommen und sich auch der Austausch von Momoyo Kaijima (Atelier Bow-Wow) und der Architekturprofessorin Lise Juel über Jørn Utzon trotz des spannenden Brückenschlags von Japan nach Dänemark ein wenig dahinschleppt, wirken andere Runden lebhafter und gelungen: Arno Lederer und Philip Ursprung reden zwar mehr über Ernst Gisel als über Sigurd Lewerentz, aber der kleine „Etikettenschwindel“ ist angesichts des munteren Gesprächs schnell verziehen.
Donatella Fioretti und Olaf Nicolai sprechen anders als in der Überschrift angekündigt eher über ihre Zusammenarbeit an den Dessauer Meisterhäusern als über Walter Gropius und László Moholy-Nagy selbst. Aber auch diese gemeinsame Reflexion über einen Meilenstein der Rekonstruktionsarchitektur ist lesenswert und aufschlussreich. Mario Botta und der Architekturprofessor und Kritiker Pippo Ciorra haben sich viel über Louis Kahn zu erzählen, ebenso Stephan Trüby und Christian Kerez über Francesco Borromini. Anekdoten, Analogien, Bewertungen und persönliche Bekenntnisse, die man nicht alle Tage hört, machen die Lektüre interessant. Sie setzt allerdings auch einiges an Vorwissen (oder die Bereitschaft zur Recherche) voraus, da beiläufig viele Projekt- und Architektennamen fallen, ohne dass sie weiter erklärt würden.
Wäre das Buch nun doch kein Buch sondern eine Abendgesellschaft, hätte man unbedingt in der Nähe von Hans Kollhoff und Jasper Cepl sitzen wollen. Deren engagiertes, differenziertes und auch Kritik nicht aussparendes Gespräch über Oswald Mathias Ungers, für den Kollhoff gearbeitet und über den Cepl die wesentliche Biographie verfasst hat, ist ohne Zweifel der Höhepunkt und hat völlig zu Recht den meisten Platz in dieser Publikation bekommen.
Text: Katrin Voermanek
Architects on Architects
Dietrich Fink, Uta Graff, Nils Rostek, Julian Wagner (Hg.)
160 Seiten
Hirmer Verlag, München 2019
ISBN 978-3-7774-3309-7
24,90 Euro