Aktuell kursieren wieder Bilder seiner – man kann es nicht anders sagen – atemberaubenden La fábrica durch die Medien. Und letztes Jahr hatte der Franzose Alain Kronenbourg mit Fotos von abendsonnegetränkten Säulenreihen des Espaces d’Abraxas geradezu eine Euphorie in den sozialen Medien ausgelöst. Die kühne Monumentalität und romantische Versunkenheit eines Ricardo Bofill (Barcelona) der Siebziger und Achtziger erstaunen bis heute. Eine ähnlich uneingeschränkte Begeisterung dürfte bei seinem jüngst in Prag fertiggestellten Apartmenthaus wahrscheinlich nicht aufkommen. Denn sein Gebäude ist lediglich ein einfacher Quader, der vor allem auf den Effekt der Fassade setzt. Dabei spielten Bofill für das Projekt Obecni Dvur die Gegebenheiten eigentlich in die Hände: Der Neubau steht nämlich inmitten einer alten Hofanlage im Prager Zentrum mit Bestandsbauten der Renaissance, des Barock und des Klassizismus. Alle Bauten hat Bofill im gleichen Zuge restauriert.
Verwunschenheit oder Monumentalität sind passé, stattdessen scheinen heute bei Bofill Kriterien wie „state-of-the-art-living“ und „top-of-the-line security“ maßgeblich zu sein. Oder lag dies am Marketingteam? Die zwölf Wohnungen, die Ricardo Bofill in dem fünfstöckigen Neubau untergebracht hat, sind jedenfalls besonders luxuriös und hochgesichert. Die Überwachungsmaßnahmen beginnen bereits bei der Gemeinschaftsgarage auf Straßenebene, die – gut verriegelt – ausschließlich den Bewohnern vorbehalten ist. Baulich kragt der geschlossene Autostellplatz weit auf das Gelände aus. Dabei formuliert er einen ausladenden Sockel, der den Bewohner im ersten Stock zu Gute kommt: Sie können das Flachdach der Garage als private Terrasse nutzen.
Die zwölf Wohnungen sind alle mit raumhohen Fenstern ausgestattet und orientieren sich in drei Himmelsrichtungen zur historischen Hofanlage, die trotz ihrer innerstädtischen Lage als „ruhige Oase“ bezeichnet werden kann. Über zwei Treppenhäuser sind die Wohnungen erreichbar. Dabei verschränkte Bofill die Erschließungswege über einen durchgehenden, außeren Treppenschacht mit internen Erschließungswegen, die vereinzelte Wohnungen zum Duplex verbinden. Diese großzügigen Innentreppen dominieren in den einzelnen Apartments jeweils ein weiteres Atrium.
„Top-of-the-line-security“ – dieses Kriterium scheint sich auch auf die äußere Gestaltung des Gebäudes übertragen zu haben: Exklusiv und ziemlich abgeriegelt wirkt der Kubus mit seiner leicht spiegelnden Fassade. Seine Fensterläden bestehen aus den gleichen Paneelen wie die sonstige Fassadeverkleidung, weshalb das Gebäude auf den Fotos vollständig verschlossen wirkt. Das setzt einen Kontrast zur historischen Umgebung, wirkt aber glatt und kühl, wie ein Fremdkörper. Doch Bofill hat noch einen besonderen Effekt gesetzt: Auf die gesamten Oberfläche des Hauses sind feine Verästelungen gedruckt. Das Ergebnis wirkt je nach Blickrichtung wie ein massiver Marmorblock oder der Schattenwurf eines großen Baums. Ein wenig Bofill’sche Radikalromantik darf es also doch sein. (sj)
Fotos: Ricardo Bofill Taller de Arquitectura
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Hyronimus | 04.03.2017 12:14 UhrBofill der Zauberer!
Für jene, welche Pläne nicht lesen können, mag es ja 12 Apartments im Kubus haben - Nimmt mich bloss Wunder, wie Bofill das schaffen soll! Erkenne 2 Duplex- und 1 Etagenwohnung. Auch nur 1 einziges durchgehendes Treppenhaus. Für die beiden Duplexwohnungen interne Erschliessungen, keine 2 Treppenhäuser!
Das geniale an der Fassade sind nicht die "bedruckten Fensterläden" aus Fassadenmaterial, das sind textile und transparente Panels. Vielleicht das nachste Mal das Gebäude vor Ort ansehen oder die Fotos studieren...
Tolles Projekt, das durch Einfachheit und Klarheit besticht...