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19.06.2017

Konservativer Expressionismus

Anwesen bei London von James Wright und Niall Maxwell


Ein großes Haus inmitten weiter Landschaft, steil aufragende Dächer, ein expressiver Gestus und ein unübersehbarer Wille, sich nach außen abzuschotten – Caring Wood in Kent, circa eine Stunde von London entfernt, erinnert spontan ein wenig an ein anthroposophisches Schulungszentrum auf dem Land. Man mag sich leicht vorstellen, dass die steilen, turmartigen Dächer und die Bruchsteinmauern dazu dienen, einen Raum esoterischer Selbstfindung zu umschließen. Doch weit gefehlt. Caring Wood ist ein Privathaus – genauer: ein Anwesen klassischen Zuschnitts. Was vor allem bedeutet: Es ist sehr groß. 34 Hektar misst das Grundstück, das Architekt James Macdonald Wright im Auftrag seines Bauherren im Umkreis der britischen Hauptstadt suchte, um anschließend ein Wohnhaus für eine Familie samt Wirtschaftsgebäuden zu errichten.
 
Allein die schiere Menge gepflanzter Bäume beeindruckt: Mehrere Tausend einheimische Bäume wurden gesetzt, um das Grundstück substantiell neu aufzuforsten; außerdem wurde eine Obstplantage mit 500 Kirschbäumen angelegt. Um ein Projekt dieser Größe stemmen zu können, lud Wright seinen Kollegen Niall Maxwell vom Rural Office for Architecture ein, an Caring Wood mitzuarbeiten.
 
Zusammen entwarfen sie ein halb in die hügelige Topographie eingefügtes Haus, in dessen Mitte ein tief eingeschnittener Innenhof liegt. Direkt um diesen Hof herum liegen die weitläufigen Gemeinschaftsräume des Anwesens. Daran anschließend – und in gebührendem Abstand – schließen vier klar separierte Wohneinheiten an, die als eigenständige kleine Häuser begriffen werden können und je ein eigenes, steil aufragendes Dach haben. Die Architekten sprechen von „oasts“ – zu Deutsch: Darren – und geben damit einen klaren Hinweis auf die Verwurzelung dieser baulichen Form in der regionalen Bautradition. Darren sind historische Bauten zum Trocknen von Nahrungsmitteln. In Großbritannien sind sie als „oast houses“ bekannt und weisen eine charakteristische Form auf: Runde Backsteinbauten mit hohen, kegelförmigen Dächern, die wiederum von weißen Hauben bekrönt werden, durch die die heiße Luft ausströmen kann.
 
Mindestens genau so wichtig, wie der Rückgriff auf die landwirtschaftliche Bautradition ist die Typologie des englischen Landhauses. Die introvertierte Zurückhaltung, die großzügige Dimensionierung, die Wahl der Materialien und das repräsentative Raumprogramm machen dies klar. In all diesen Aspekten scheint das Haus wie aus der Zeit gefallen. Dazu passt auch das Interesse an klassischer Musik, das sich im Raumprogramm niederschlägt. Denn auf der oberen Ebene des Hauses – auf der der Haupteingang liegt und von der man durch eine breite Treppe in das tiefer liegende Hauptgeschoss gelangt – gibt es Platz für einen Flügel und 50 Gäste, die hier klassischer Musik lauschen können.

Sehen kann man von den sicherlich eindrucksvollen Innenräumen leider fast nichts. Doch dass die Bewohner dieses Hauses auf Diskretion bedacht sind und nur sehr spärliche Einblicke in das Innere ihres Hauses gewähren, muss eigentlich nicht weiter verwundern. Was bleibt, ist der Blick von außen auf die Mauern aus Bruchstein, die Fenster in ihren tiefen Laibungen und die feuerroten Dachziegel – und die neugierige Frage, wer sich eigentlich ein solches Anwesen bauen lässt. (gh)

Fotos: Heiko Prigge, James Morris


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