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15.03.2023

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Buchtipp: Angekommen am Berliner Hauptbahnhof

Am Rand von EuropaCity


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Auch wenn das Europaviertel am Berliner Hauptbahnhof noch nicht fertig ist, kann man bereits heute ein bitteres Zwischenfazit ziehen: Das über 40 Hektar umfassende Areal nördlich des Bahnhofs kann als große vergebene Chance der Nullerjahre gesehen werden, in zentraler Lage ein zukunftsweisendes Stück Stadt zu realisieren. Seit dem 19. Jahrhundert wurde das Areal als Bahngelände genutzt, im Kalten Krieg lag es vergessen im Schatten der Mauer, nach der Wende war es eine dieser typischen Berliner Gegenden mit etwas Altbaubestand und viel Leere, die Kultur und Clubszene anzogen.

Von all der Nachwenderomantik ist nichts mehr übrig. Kein Wunder, angesichts der exzellenten Lage inmitten der Stadt. Doch auch wer nicht unbedingt den pittoresken Brachen, günstigen Ateliers und wilden Parties nachhängt, wird sich schwertun, in dem, was hier gebaut wurde und wird, etwas anderes zu sehen als eine renditegetriebene Entwicklung, die viel zu sehr im gestalterischen Mittelmaß feststeckt.

Von März 2018 bis Mai 2019 widmete sich das künstlerisch-aktivistische Projekt Am Rand von EuropaCity den planerischen Versäumnissen und den exklusiv-exkludierenden, zuweilen tristen Ergebnissen, die zwischen dem 2006 eröffneten Bahnhof und den gewachsenen, teils sozial schwachen Vierteln der Umgebung entstanden. Letztes Jahr erschien nun die gleichnamige, von Alexis Hyman Wolff, Achim Lengerer und Yves Mettler herausgegebene Publikation als Band 9 der Reihe Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt. Auf 136 Seiten haben die Herausgeber kritische Essays, Aussagen von Betroffenen und Forscher*innen und eine Projektdokumentation zusammengestellt. Eine ganze Reihe an Audioaufnahmen, die während des Projekts vor Ort entstanden, sind auf der Webseite amrandvoneuropa.city verfügbar.

Der interessanteste Beitrag des Buches aus architektonisch-planerischer Perspektive ist der im besten Sinne fußnotengesättigte Beitrag von Mettler, in dem er die Entwicklung des Quartiers nachzeichnet und die zentralen Player benennt, von denen insbesondere die CA Immo wichtig ist. Das österreichische Unternehmen übernahm 2007 die Deutsche Bahn-Immobilientochter Vivico samt deren Liegenschaften und wurde somit zu einem federführenden Akteur auf dem Areal. Ein wirklich progressives Projekt war angesichts der damals viel zu zurückhaltend agierenden Lokalpolitik und der frühen Weichenstellungen in Richtung Renditeorientierung sowieso nicht zu erwarten. Mettler zeigt jedoch im schnellen Durchlauf vieler Einzelprojekte, wie aus durchaus ansehnlichen Vorhaben in den Entscheidungs- und Planungsprozessen ein uninspiriertes und zuweilen beklemmend trauriges Stück Stadt wurde.

Wie man das Quartier wohl zu lesen hat, darauf gibt Katja Niggemeier vom Quartiersmanagement Brunnenstraße einen Hinweis, deren Aussage prominent am Ende der Zitatsammlung des Buches steht: „Aber vielleicht ist es auch so, dass es irgendwelche modernen Transiträume geben muss. Wenn man das vergleicht mit einem Raum wie dem Soldiner Kiez, der ein Stück weit – um das mal zuzuspitzen – immer noch ein Transitraum der Armutsmigration darstellt, dann ist die Europacity vielleicht einfach ein Transitraum für diesen Businessbereich, den Berlin ja so nie hatte. Vielleicht ist es so, dass man gar nicht versuchen sollte, alles von allen Räumen zu wollen.“

Text: Gregor Harbusch

Am Rand von EuropaCity
Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #9
Alexis Hyman Wolff, Achim Lengerer und Yves Mettler (Hg.)
136 Seiten
Berliner Hefte, Berlin 2022
ISBN 978-3-946674-08-5
7 Euro

Das Buch ist bei Eeclectic auch als E-Book (epub und PDF) erschienen und kostete dort 3,99 Euro.


Zum Thema:


Am morgigen Donnerstag, 16. März 2023 findet um 19 Uhr im Cittipunkt (Brüsseler Str. 36A, 13353 Berlin) eine Buchpräsentation mit dem Architekten und Stadtplaner Mandu dos Santos Pinto und Ahmed Shah (Mitgründer des Theater X) sowie den Mitherausgebern der Publikation, Alexis Hyman Wolff und Yves Mettler statt.


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

2

Nikolaus | 25.03.2023 09:15 Uhr

Vielleicht mal anders denken

Das ganze Viertel, wie so viele andere heute, will ja eben geradlinig, kantig, gerastert und ehrlich sein, und bloß nicht pittoresk, gegliedert, verziert oder romantisch. Dann kommt eben auch gleichförmige Langeweile raus, trotz aller Versuche, die Fassaden irgendwie noch unterschiedlich zu gestalten. Vielleicht sollte man die gestalterischen Grundthesen in der Moderne mal anders denken.

1

auch ein | 16.03.2023 11:45 Uhr

architekt

diese Bahnhofsnahen Viertel heissen immer "Europaviertel", vielleicht weil sie meist so trostlos wie das Europaviertel in Brüssel sind...;-)

Auch wenn es flächenmässig wesentlich kleiner ist hat die Europaallee in Zürich durchaus Qualitäten. Durch den Platzmangel sehr verdichtet (was gut rüberkommt), in den Erdgeschossen Handel und Gastro (wo es trotz Retortenfeeling auch am Wochenende sehr belebt ist) und im Sommer aussen viel Action.
Die Obergeschosse massenweise Büros (natürlich auch Google...) und Served Appartements, die eigentlich immer leer stehen....

dann noch paar grade hippe schweizer Büros die bisschen unterschiedliche Rasterfassaden davor designed haben und fertig.

 
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