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01.10.2020

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Freundliche Wohnburg am Stadtrand

AllesWirdGut und feld72 in Wien


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Transdanubien, wie das weitläufige Gebiet der beiden Wiener Stadtbezirke jenseits der Donau heißt, war schon immer das bevorzugte Territorium für die Stadterweiterungen der österreichischen Metropole. Das heterogene Patchwork aus Dorfkernen, Landwirtschaft, Gewerbe, Einfamilienhaussiedlungen und alten Donauarmen bietet reichlich Platz für Nachverdichtung und Experimente, wie etwa 1992 die Siedlung Pilotengasse, entworfen von Adolf Krischanitz, Herzog & de Meuron und Otto Steidle. Seitdem ist der Verwertungsdruck ebenso exponentiell gestiegen wie das Konfliktpotenzial durch großmaßstäbliche Wohnbauten.

Typisch transdanubisch ist auch das Areal am Kapellenweg: Das hier befindliche, zum benachbarten Großkrankenhaus Donauspital gehörende Schwesternwohnheim aus den 1970er Jahren wurde abgerissen und das Gelände vom wohnfonds_wien, der die städtischen Liegenschaften verwertet, erworben. Weitere Nachbarn: Eine anständig gealterte Wohnhausanlage von Boris Podrecca (1986-93) im Osten und ein ausgedehntes Einfamilienhausgebiet im Süden.

Die im Bauträgerwettbewerb vorgesehene Dichte war enorm, die meisten Einreichungen sahen hier Zeilenbauten vor, nicht jedoch der Wettbewerbssieger: Die Arbeitsgemeinschaft der Wiener Büros AllesWirdGut und feld72, beide mit viel Wohnbauerfahrung, und die gemeinnützigen Bauträger migra, Neues Leben und WOGEM ordneten die 450 Wohnungen am Rande des Grundstücks um eine große grüne Freifläche an. Die Landschaftsplanung dafür kommt von Carla Lo, ebenfalls aus Wien. Bis zu acht Geschosse hoch ist der Blockrand, ein entschieden urbanes Statement am zerfasernden Stadtrand.

In seiner furchtlosen Inszenierung der Baumasse erinnert es an die burgartigen Gemeindebauten des Roten Wien – durchaus bewusst, wie die Architekten sagen, die auch den Kapellenhof als Wohnburg bezeichnen. Diese schottet sich jedoch nicht hermetisch ab, sondern wird diagonal von zwei halböffentlichen Fußwegen durchkreuzt. Auch die Farbgebung in Rot und Cremebeige erinnert an die 1920er Jahre. Um dieser Masse eine wohnliche Maßstäblichkeit zu verleihen, wurde sie in vier Baukörper geteilt, die sich in der Höhe staffeln, im Grundriss Knicke vollziehen und in der Fassade durch kerbenartige Einschnitte differenziert werden. Individuelle Platzsituationen vor den Eingängen, an denen auch die Gemeinschaftsräume liegen, vermitteln zwischen dem großen Park in der Mitte und der Erschließung im Inneren.

Kennt man den gegenwärtigen Standard des geförderten Wohnbaus in Wien, in dem Sparzwang und Maximierung der Dichte immer öfter zu herben Qualitätsverlusten führen, darf man hier erleichtert aufatmen, denn die Architekten haben dem Rotstift trotz mancher Wermutstropfen einiges abgerungen: Die Farbabstufung der Fassade, pulverbeschichtete anstatt verzinkte Balkongeländer, akzentuierte Bodenfliesen vor den Wohnungstüren in den Gängen, ansprechende Typografie. Dies mögen nur Details sein, doch der Unterschied ist beträchtlich.

Die Wohnungen selbst sind kompakt, was in Wien dank des vorgeschriebenen Anteils extrem platzsparender sogenannter Smart-Wohnungen im geförderten Wohnbau – hier 33 Prozent, inzwischen 50 Prozent – heute kaum zu vermeiden ist. Trotzdem war Platz für Sonderlösungen, wie die Starterwohnungen für Junge mit Raumhöhen, die den Einbau einer Galerie erlauben. Ihnen wird die Premium-Lage im Block zugestanden: oberstes Stockwerk, südorientiert zum Park.

Eine Wohnburg für 1000 Menschen also, die das transdanubische Patchwork mit einem klaren Statement besetzt und dabei im Herzen suburban-grün sein darf. Bemerkenswert auch, dass diese Wohnburg trotz vieler Planungsbeteiligter – drei Bauträger, zwei Architektenteams – wie aus einem Guss wirkt.

Text von Maik Novotny
Fotos: Tschinkersten Fotografie


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

11

Pompide | 02.10.2020 12:52 Uhr

Raum für Entfaltung

...vielleicht sollten wir Architekt*innen auch mal aufhören, jedes individuelle Zeichen der Bewohner*innen zu verteufeln. Das Unplanbare hat auch einen großen Reiz und kann im Idealfall zu kreativen Entwicklungen führen. Etwas Raum für persönliche Entfaltung tut allen gut. Und wenn es nur der Ausdruck durch einen Sichtschutz ist vielleicht besser, als alle in ein ordentliches Korsett zu stecken.

10

Pille | 02.10.2020 11:33 Uhr

Schön...schön, schön.

Ich verstehe die ganze Meckerei nicht. Alles in allem scheint mir das ein schönes Projekt zu sein. Hier wird viel Wohnraum auf einen Schlag erstellt. Wenn ich mir anschaue was in der Regel bei solchen Projekten in Deutschland heraus kommt, nämlich Grau in Grau mit Grau und einem feigen Fleckchen grün (siehe hier weiter Meldungen im Baunetz aus Neukölln...) finde ich das Ergebnis von AWG sehr gut. Die Gebäude bekommen noch durch Ihre Nutzer eine Note sowie Farbliche Akzente und der große Innenhof/Park wird durch Menschen und wachsene Natur belebt. Das hat mir der "russischen Wohnarchitektur" wie es hier mehrfah abwertend zitiert wird, nichts zu tun. Mir gefällts und ich würde dort auch einziehen und mich wohl fühlen.

9

STPH | 02.10.2020 10:21 Uhr

@ 6 auch ein

übrigens Hundertwasser:
Hundertwasser ist der einzige richtige Post- also Nachmoderne weil er den Raum nicht mehr modern expandiert sondern spiralförmig zurück nach innen dreht, wie wenn das All die Ausdehnungsrichtung umdreht.
Eine Antimoderne wie Antimaterie und das funktioniert.

8

Wienerin | 02.10.2020 10:12 Uhr

Standard

Wie von AllesWirdGut gewohnt, ein weiteres trostloses (Wohn-)Projekt, um das viel zu viel Wind gemacht wird.

7

Fro | 02.10.2020 09:46 Uhr

Die neue Tristesse

bemühte und behübschte Architektur. Wohnschliessfächer.

6

auch ein | 02.10.2020 08:07 Uhr

architekt

der arme Tropf auf Bild 6 freut sich schon wenn die Bäume gewachsen sind...

wie trostlos das ganze.

spannend wirds ja erst wenn ALLE balkoninhaber ihre eigenen sichtschutzmassnahmen ergriffen haben...
so hätts dann dem hundertwasser gefallen!

5

STPH | 01.10.2020 19:58 Uhr

...

ein Lob auf die freitragenden Balkone und die zierlichen Gitter. Wenn jetzt noch die Bäume hohe, schlanke Formen bilden und nicht nur Bodenkrüppel was man fast befürchtet, würde ich diese öffentlichen jedem Loggienprotz von Investoren vorziehen.

4

Jan | 01.10.2020 18:40 Uhr

furchtbar

Das ist ja scheußlich!
von der Teerfläche und den freistehenden Müllcontainern in Bild 1 über das sammelsorium an "kreativen" Balkonbrüstungsverkleidungen, der schlimmen Fassadengestaltung, den tristen Treppen und den horrorhaften Fluren.

Der russische Wohnungsbau begeistert da hingegen durch seine schlichte Klarheit.

Da ist man froh nicht in Wien wohnen zu müssen.

3

ixamotto | 01.10.2020 18:37 Uhr

@Dr.Yikes

Ach, Doktorchen...

2

reto | 01.10.2020 16:15 Uhr

Respekt

Ein guter Wohnungsbau - im Großen und Ganzen. Der Innenhof schein Aufenthaltsqualität zu haben und auch die äußere Gestaltung der Baukörper gefällt mir ganz gut, wobei ein überhöhtes Sockelgeschoss dem Ganzen gut getan hätte. So wird es von den oberen Etagen etwas "erdrückt" und man hat das Gefühl beim Betreten den Kopf einziehen zu müssen. Die Balkongeländer wären vielleicht als geschlossene Brüstung schlauer gewesen - vielleicht sogar pulverbeschichtet - wow crazy! Im Inneren doch sehr trist, da kann ich die Begeisterung nicht so recht teilen.

1

Dr. Yikes | 01.10.2020 15:44 Uhr

Entsetzlich

So langsam aber sich nähern wir uns in Wien russischen Verhältnissen an.

Gebt den Menschen Haus und Garten!

 
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