Oftmals sind es ökologische Gründe, die als Argument für den Umbau von Bestandsgebäuden angeführt werden. Allerdings lässt sich das Interesse an baulichen Konversionen nicht allein durch die Bemühungen erklären, graue Energien zu wahren und Emissionen zu vermeiden. Stattdessen setzt Liliane Wong die Konjunktur, die das Thema seit einigen Jahren erfährt, in Beziehung zu den Umbrüchen, die während der vergangenen fünf Dekaden in sechs verschiedenen Gesellschaftsbereichen festzustellen waren.
Vor genau einem halben Jahrhundert, so erklärt die Autorin zu Beginn ihrer Publikation Adaptive Reuse in Architecture. A Typological Index, sei der Begriff „Adaptive Reuse“ ins Merriam-Webster Dictionary aufgenommen worden. Seither habe nicht nur eine Energiewende eingesetzt und eine tiefgreifende Veränderung des Transportsektors stattgefunden. Auch hätten eine Digitalisierung sowie die Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Übersee einen Wandel der industriellen Fertigung bewirkt.
Ebenso seien infolge der ökonomischen Entwicklungen agrarwirtschaftliche Anlagen und aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels sakrale Stätten brachgefallen. Schließlich merkt Wong an, dass auch ein verändertes Verhältnis zur Geschichte der Adaption baulicher Strukturen zu gesteigerter Bedeutung verholfen habe: Auf eine Erinnerungskultur, die nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt habe, weist sie in diesem Zuge ebenso hin wie auf die Formierung der UNESCO und die identitätspolitischen Anliegen der vergangenen Jahre.
Allen sechs Themen, die das Buch gliedern, ist ein faktenmächtiger Essay gewidmet. Ihnen werden jeweils ein Zeitstrahl vorangestellt und exemplarische Projekte zugeordnet. Gemäß dem Anspruch, mit der Veröffentlichung einen „typologischen Index“ vorzulegen, ist jeder dieser Umbauten mit einer Buchstabenzahlenkombination kodiert. Gegenüber dieser Systematik allerdings bleibt die Beziehung zwischen Texten und Umbauten eher lose, während auch die Auswahl der Projekte nicht in jedem Fall zwingend erscheint.
Dass es sich bei den Fallstudien überwiegend um alte Bekannte aus Europa oder Projekte aus Nordamerika handelt, entspricht dem Fokus der Essays, die insbesondere die gesellschaftlichen Entwicklungen in den westlichen Staaten beleuchten. Umso interessanter mutet an, dass mit dem südafrikanischen Zeitz Modern Museum oder dem Nyamata Genocide Memorial Center in Kigali auch Umbauten in afrikanischen Ländern Eingang in das Buch gefunden haben.
Erweitert wird die Auffassung davon, was als „Adaptive Reuse“ gelten kann durch Beispiele wie das Rosa Parks House Project, in dessen Zuge die Unterkunft der Bürgerrechtlerin Rosa Park in vier verschiedenen Städten präsentiert wurde oder das dezentrale Pixel Hotel im oberösterreichischen Linz. Mit ihrer Publikation zeigt Wong vor allem, dass auch die umgebaute Architektur nicht unabhängig von ihrem Kontext betrachtet werden darf. Und dazu gehört nicht nur der Klimawandel.
Text: Achim Reese
Adaptive Reuse in Architecture. A Typological Index
Liliane Wong
Gestaltung: Sebastian A. Schmitt (Bureau Est, Leipzig)
Englisch
224 Seiten, 170 Abbildungen
Birkhäuser, Basel 2023
ISBN 978-3035625639
59 Euro
Zum Thema:
In der aktuellen Focus-Ausgabe bei baunetz CAMPUS geht es um die Umnutzung von Einkaufszentren und Kaufhäusern.