Von Stefan Rethfeld
Es war mehr als eine Eröffnung. Es war ein Neubeginn. Das neue Theater in Münster, in dem sich am 4. Februar 1956 zum ersten Mal der Vorhang hob, setzte Maßstäbe in vielerlei Hinsicht: gesellschaftlich, kulturell und architektonisch – weit über die Stadtgrenzen hinaus. Das positive Echo war international zu vernehmen. In den Jahren 1952–56 von einem jungen Architektenteam geplant und ausgeführt, gilt es als der erste Theaterneubau in der jungen Bundesrepublik.
Harald Deilmann (1920–2008) kam aus Stuttgart, Ortwin Rave (1921–1992) aus Braunschweig, Max von Hausen (1919–1995) aus Karlsruhe. Sie hatten bei Richard Döcker und Rolf Gutbrod, bei Friedrich Wilhelm Kraemer und Egon Eiermann diplomiert. Nun führte sie der Weg zurück ins heimatliche Münster, das sich um 1950 im Wiederaufbau befand. Der ebenso junge Werner Ruhnau (1922–2015) realisierte dort bereits mit der Landwirtschaftskammer das erste moderne Bürogebäude der Stadt. Die Architekten fanden im Protest zusammen – gegen den Plan, ein neues Theater nach alter Repräsentationsmanier zu errichten. Hierfür hatte der städtische Baurat Edmund Scharf bereits die Pläne in Düsseldorf vorgestellt. Als die Finanzierung stockte, erkannten die vier jungen Planer ihre Möglichkeit und boten der Stadt einen Gegenentwurf an. Die Stadt lud kurzfristig zu einem offenen Gutachterverfahren ein, woraufhin fünf Entwürfe eingingen. Unter dem Vorsitz von Werner Kallmorgen (Hamburg) wurde der Beitrag des Architektenteams ausgewählt und der Stadt „sehr warm“ (Juryprotokoll) zur Ausführung empfohlen.
Bis zum Zweiten Weltkrieg bildeten Stadthalle, Musikschule und Theater am vorgesehenen Bauplatz ein Kulturforum. Nur Gebäudereste waren erhalten geblieben. Mutig in der Aussage, diese Zäsur dauerhaft kenntlich zu halten, bestimmte das Architektenteam die Ruine des Romberger Hofes (vormals Musikschule) zum Ausgangspunkt seines Entwurfs und integrierte sie samt zweier erhaltener Platanen in den neuen Innenhof.
Um die gewünschte Tiefe zu erzielen, entwickelte das Team seine Gesamtkomposition in diagonaler Stellung und staffelte die neuen Funktionen von der Straßenkreuzung gen Himmel: Eingang – Großes Foyer – gläsernes Treppenhaus und Bühnenturm, leicht und schwebend in den Oberflächen Glas, Marmor und Keramik gestaltet.
Auch im Inneren erwarteten den Besucher ungewöhnliche, durchkomponierte Raumfolgen: Vom niedrigen, ursprünglich mit schwarzer Decke ausgestatteten Eingangsfoyer stieg der Besucher im gläsernen Treppenhaus festlich empor – um durch eine einst rot gestaltete Treppenhauswand in den 955 Sitze fassenden Zuschauersaal zu gelangen. Der wiederum, ganz schwarz gehalten, fokussierte lediglich das Bühnengeschehen. Über den Zuschauern erfanden die Architekten einen ungewöhnlichen Lampenhimmel aus damals gängigen Papierleuchten.
Das Theater verstanden sie als offene Figur für eine neue angestrebte Öffentlichkeit. Das Vergangene wurde zum Ausgangspunkt für einen Bau der Zukunft. Viele Konventionen des Theaterbaus wurden im Münsteraner Theater in Frage gestellt und architektonisch wie städtebaulich wurden neue Wege gegangen. Wer sich auch heute durch das Gebäude bewegt, wird die Energie, die damals hineingebracht wurde, spüren.
Vor zehn Jahren konnten bei der Gala zum 50. Jubiläum Harald Deilmann und Werner Ruhnau noch dem Publikum persönlich von ihrem unkonventionellen Theaterbau berichten. Ihr Entwurf verstand sich als bauliche Gegenthese zum Wiederaufbau und als kulturpolitisches Manifest für eine zukünftige Stadtgesellschaft. Das anstehende Jubiläum ist erstmals vollends posthum: Harald Deilmann verstarb 2008, Werner Ruhnau im vergangenen Jahr.
Die Verantwortung für eine Pflege des Baudenkmals ist von nun an größer denn je – auf Seiten der Stadt als Eigentümer und Nutzer. In den letzten Jahren wurden einige Baumaßnahmen dem Anspruch des denkmalgeschützten Gebäudes schon nicht mehr gerecht. Vielleicht kann der heutige Geburtstag zu einem Gesamtkonzept und zu mehr Detailliebe führen. Gilt es doch, die künstlerische Spannung im Theater auch architektonisch zu halten – jede Linie zählt.
Das Theater Münster wird das 60-jährige Bestehen am kommenden Samstag mit einer Juliäumsgala feiern: Ein Abend mit Ute Lemper – zwischen gestern und morgen.
Zum Thema:
www.theater-muenster.com
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Rolf Toyka | 05.02.2016 15:46 UhrTheater Münster
Danke, lieber Stefan Rethfeld! Sie halten die Erinnerung an dieses herausragende Architektur, das die Aufbruchstimmung nach dem Krieg so deutlich werden lässt, wach. Und Sie fordern mit Recht den adäquaten Umgang mit diesem Bauwerk ein. Das haben das Theater und die Urheber verdient.