Bürohäuser prägen heute große Teile der urbanen Räume, denn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist Büroarbeit vor allem in den Großstädten zur hauptsächlichen Beschäftigung der Bevölkerung geworden. Gestalter*innen verbinden diesen Bautyp aber zumeist mit wenig Freiraum. Hinsichtlich der strengen Anforderungen an Funktionalität, Flexibilität, Optimierung und Effizienz entwickelt sich die planerische Aufgabenstellung oft zu einer architektonischen Herausforderung. Dazu kommt das herkömmliche Verfahren der Planungsaufteilung von Grundausbau und Meisterausbau, das heißt, dass die Architekt*innen häufig nur für Struktur, Erschließungskerne und Fassade beauftragt werden. Dennoch: Bürogebäude sind nicht nur langweilige, repetitive und alltägliche Bauten. Diese Bauaufgabe hat trotz aller Reglements immer wieder zu außergewöhnlichen gestalterischen und konstruktiven Lösungen geführt, und genau das verdeutlichen Annette Gigon, Mike Guyer und Arend Kölsch in dem von ihnen herausgegebenen Buch Bürogebäude.
„Mit Büros und Bürogebäude assoziiert man gemeinhin keine außergewöhnlichen, bahnbrechenden oder inspirierende Räume und Bauten. Der Grund dafür ist naheliegend, denn mit Büroarbeit verbinden die meisten von uns Alltag”– mit diesen Sätzen fängt das 350-seitige Buch an, das insgesamt 50 exemplarische Bürohäuser aus Amerika, Europa und Asien versammelt. Die Publikation stellt sowohl Ikonen der Architekturgeschichte – wie etwa das Monadnock Building, das Seagram Building, das Bürogebäude für die Shizuoka Presse- und Rundfunkgesellschaft, das Pirelli-Hochhaus oder das Zentrosojus-Gebäude – als auch zeitgenössische Bürobauten jeweils mit Fotografien, Plänen und einem ausführlichen Erläuterungstext vor. Unter den ausgewählten modernen Bürohäusern finden sich beispielsweise OMAs CCTV Headquarters, der Helvetia-Hauptsitz von Herzog & de Meuron, der Prime Tower von Gigon/Guyer oder das Chaoyang Park Plaza von MAD Architects.
Fünf begleitende Autorenessays berichten von den Ursprüngen, den historischen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungen und der weltweiten Verbreitung der Bautypologie. Die Anfänge des modernen amerikanischen Bürohauses in Chicago und seine Verbreitung in europäischen Großstädten werden dabei ausführlich besprochen. Darüber hinaus behandeln die Autoren Entwicklungen, die über einzelne Bauten hinaus die Büroarchitektur geprägt haben, etwa das Aufkommen der Hochhäuser, der curtain walls, des Großraumbüros und des spezifischen Büromöbels. Und auch das Erscheinen des Büros in unterschiedlichen Medien in Film und Kunst wird thematisiert.
Die Publikation zeigt auf, dass es bei der Planung von Bürohäusern nicht nur um strategische Schachzüge geht und dass diese Bautypologie sehr facettenreich sein kann. Denn wie die Herausgeber*innen es selbst beschreiben: Das Buch stellt diejenigen Projekte vor, denen es gelungen ist, „trotz vorwiegend privater Nutzung die Öffentlichkeit anzusprechen, trotz Rasterfassaden charismatische Gebäude zu errichten und schließlich trotz des Primats der Flexibilität nicht nur allgemeine und nüchterne, sondern auch atmosphärische Innenräume zu gestalten“. Diese Bauaufgabe ist ungebrochen relevant – nicht nur, weil nach wie vor so viele Menschen in Büros arbeiten, sondern weil sie auch künftig Entwicklung und Erscheinungsbild der Städte mitbestimmt.
Das Buch entstand als Teil der Publikationsreihe des Lehrstuhls für Architektur und Konstruktion der ETH Zürich, die bisher zwei Bände – 2018 „Bibliotheksbauten“ und 2016 „Residental Towers“ – herausgegeben hat.
Text: Mariam Gegidze
Bürogebäude
Herausgegeben von Annette Gigon, Mike Guyer und Arend Kölsch
Mit Beiträgen von Hubertus Adam, Kurt W. Forster, Arthur Rüegg, Marcel Bächtiger und Arend Kölsch
352 Seiten
deutsch
gta Verlag, Zürich 2019
ISBN 978-3-85676-396-1
78 Euro