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25.05.2023

Filmtipp: Wurzeln im Wohnpark

27 Storeys. Alterlaa forever


Harry Glücks Wohnpark Alterlaa im Wiener Süden ist eine der größten Wohnanlagen Österreichs. In den 1970er Jahren versprach sie das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl an Menschen: modern geschnittene, familientaugliche Terrassenwohnungen mit offenen, in den Wohnraum integrierten Küchen, gemeinschaftlich genutzte Hobby-, Spiel- und Sporträume, Grünflächen, Tiefgaragen sowie angegliederte Schulen, medizinische Versorgung und ein Einkaufszentrum – eine vertikal organisierte Stadt in der Stadt. Viele folgten damals dem Ruf dieser Wohnutopie, die so radikal anders war als die Vorstellungen der Elterngeneration. Wie aber sind der Wohnpark und die an ihn geknüpften Träume gealtert?

Regisseurin Bianca Gleissinger hat ihre Jugend selbst in Alterlaa verbracht und diesen Ort, dessen terrassierte Fassaden sich in ihrer Erinnerung unendlich weit Richtung Himmel wölbten, aufs Neue aufgesucht. Mit Kamerateam und Generalschlüssel ausgestattet, blickt sie in ihrem Filmdebüt 27 Storeys – Alterlaa forever hinter so manche der 3.200 Türen in den drei Wohnblöcken. Und trifft in den Wohnungen, an den Pools, in Clubräumen und Verwaltungsbereichen auf die Bewohner*innen der Anlage. Darunter sind Erstbezieher, deren Möbel seit 35 Jahren nicht verrückt wurden. Mitglieder des Modellbauclubs, die mangelnden Nachwuchs bedauern, oder das Betreiber-Ehepaar eines privaten Freddy-Quinn-Archivs, zwischen dessen Regalwänden die „so schön, schön“ gewesene Zeit fein säuberlich konserviert scheint.

Dabei bleibt Gleissinger selbst stets sichtbar, ebenso wie ihre Regieanweisungen, mit denen sie die adhoc gecasteten Protagonisten durch die Tableaus der Glück-Architektur dirigiert – und damit offenlegt, dass die teils skurillen Situationen mitnichten zufällig eingefangene Momentaufnahmen sind. Denn es geht ihr mit dem Dokumentarfilm, der auf dem vergangenen Filmfestival Max Ophüls Preis erstmals gezeigt wurde, neben der sozialen Dimension auch um einen Abgleich auf privater Ebene: Mit der eigenen Kindheitsnostalgie, mit den damals gehegten Karriere- und Lebensplänen, und im Aufnahmeprozess selbst mit der Erwartungshaltung dem eigenen Film gegenüber.

In ihren Begegnungen mit denjenigen, die Alterlaa nicht verlassen haben, wird klar, dass ihr Mikrokosmos auch heute noch als Brennglas für unsere Zeit funktioniert. Er zeigt die demografische Kluft zwischen Jung und Alt. Der moderne Wohnpark von damals wirkt heute, so behaupten es kritische Stimmen, tatsächlich ein wenig wie das größte Altenheim Österreichs – oder zumindest wie das „Paradies für analoge Menschen“, wie es der seit 30 Jahren immer wieder gewählte Bürgermeister Alterlaas im Film etwas vornehmer ausdrückt. So verschroben-sympathisch die alteingesessene Bewohnerschaft teils auch ist, so sehr scheint sie den Anschluss an die Gegenwart verloren zu haben. Die Jugendlichen jedenfalls hängen maximal an den berühmten Dachschwimmbädern ab, ansonsten „gehen sie lieber auf Raves als in Clubs“.

Den großen Fragen der Nachfolge, dem Loslassen, Kaputtmachen und Neu-Anfangen geht Gleissinger im Kleinen und Persönlichen nach – und kommentiert mit Ehrlichkeit und trockenem Humor, der sich auch auf der Bildebene wiederfindet. Wenn beispielsweise in der Wohnung eines jüngeren Hausbewohners der Saugroboter mehrfach gegen Wände fährt, steht dies auch für dessen schleppende Versuche, mittels digitaler Angebote Bewegung in den Stillstand zu bringen. Und so endet der Film mit der leisen Idee, dass sich nicht nur die 32 Clubräume, sondern der gesamte Wohnpark mit seinen vielen in Großbuchstaben an die Wände geschriebenen Verhaltensregeln um Neues erweitern könnte – wenn sich das geschlossene System Alterlaa ein kleines Stück weit nach Außen hin öffnet.

Text: Kathrin Schömer


27 Storeys – Alterlaa forever
Bianca Gleissinger
Österreich/Deutschland, 2023
82 Minuten
Mischief Films


Video:



Zum Thema:

Am Dienstag, 30. Mai 2023 wird der Film in Anwesenheit der Regisseurin im Moviemento Kino Linz gezeigt. Der österreichweite Kinostart ist am 2. Juni 2023.


Mehr zum Leben in Großwohnsiedlungen bei Baunetz Campus.


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