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30.07.2012

Warum Berlin so aussieht, wie es aussieht

150 Jahre Hobrechtplan


Ganz gleich, ob eingesessener Berliner oder zugezogener Kreativer: Niemand kann sich heute der Faszination der endlosen Berliner Stadtviertel aus der Gründerzeit entziehen, die sich innerhalb des S-Bahnringes nahezu flächendeckend erstrecken. Diese Substanz hat zwar durch Bombardements des Krieges und Flächenabrisse der Nachkriegszeit gelitten, sie ist dennoch mit ihren gleichmäßigen Altbauten an breiten Straßen und repräsentativen Plätzen prägend für das Gesicht der deutschen Hauptstadt.

Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg, Charlottenburg, Wedding – wie die Kieze auch heißen, sie alle sind in ihrem heutigen Stadtgrundriss das gebaute Produkt eines Plans, dessen Bedeutung erst langsam wieder ins Bewusstsein rückt: Vor genau 150 Jahren, im Juli 1862, wurde der Bebauungsplan der Umgebungen Berlins beschlossen und am 2. August in Kraft gesetzt. Ihr Verfasser war der Wasserbauingenieur und Regierungsbaumeister James Hobrecht (1825-1902); daher wird der Plan auch Hobrechtplan genannt. Er bezog frühere Planungen zum Beispiel von Schinkel und Lenné mit ein. Das Gebiet innerhalb des S-Bahnringes wurde bis etwa 1914 nach Hobrechts Plan „aufgefüllt“.

Der Hobrechtplan war ein reiner Fluchtlinienplan, das heißt, er legte den Verlauf von Straßen und Plätzen (und die zugehörige Kanalisation!) fest, nicht jedoch die Architektur. Dennoch wurde recht einheitlich gebaut: Fünf bis sechs Vollgeschosse und eine Traufhöhe von 20-22 Meter waren die Norm; die Häuser bekamen Seitenflügel und Hinterhäuser; oft wurden mehrere Hinterhöfe hintereinandergeschaltet. Diese Aufteilung hatte nicht Hobrecht erfunden, sondern war Folge einer Bauordnung von 1853, die eine Maximalauslastung der Grundstücke ermöglichte.

So sorgte dann das System der dunklen Hinterhöfe in Verbindung mit einer katastrophalen Überbelegung bald für einen schlechten Ruf des als „Mietskasernenstadt“ geschmähten gründerzeitlichen Berlin. Besonders die Polemik von Werner Hegemann aus dem Jahr 1930 löste bei modernen Planern den Reflex aus, gegen die Mietskasernenstadt vorgehen zu müssen. Erst um 1975 wurde die dadurch entfesselte Abrisswut beendet. Seitdem schätzt man die flexiblen, nutzungsneutralen Grundrisse, die für Familien, WGs oder Ateliers gleichsam taugen, wieder sehr.

Natürlich hängt die Renaissance der gründerzeitlichen Stadt damit zusammen, dass die Wohnungen heute Innentoiletten haben und nicht mehr überbelegt sind. Gleichwohl ist die gründerzeitliche Substanz ein städtebaulicher Schatz, der die heute weltweit als vorbildlich angestrebte „Kreuzberger Mischung“ aus Wohnen und Arbeiten überhaupt erst ermöglicht. Sie ist damit den Städtebaukonzepten der Moderne, die Funktionstrennung zum Dogma machten, weit überlegen. Einen wichtigen Anteil an der Erfolgsgeschichte der Nutzungsmischung hatte der Hobrechtplan. (-tze)


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