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26.03.2025

Buchtipp: Max braucht Gesellschaft

Der Kulturpalast des VEB Maxhütte Unterwellenborn


Wie jedes Jahr stöhnen wir, als unsere Klassenlehrerin ein klassisches Konzert in unserem Kulturhaus ankündigt. Spannend ist nur der schulfreie Tag. Um 10 Uhr beginnt 1984 das Konzert. Im Saal sitzen 500 Schüler*innen, auf der Bühne des Dreispartenhauses spielt die hauseigene Suhler Philharmonie. Ein Jahr später tanze ich mit einigen anderen pubertierenden Mädchen auf dieser Bühne zum Song „Der blaue Planet“ von Karat, weil unsere Schule zehn Jahre alte wird. Diese beiden Bilder sagen alles und nichts über die Idee der Kulturhäuser in der DDR. Heute weiß ich, wie wertvoll es war, ein Kulturhaus in unserer Stadt zu haben, das fast täglich bespielt wurde.

Salons der Sozialisten heißt ein Buch aus dem Jahr 1996, in dem es um die Kulturhäuser des untergegangenen Landes geht. Ein schmissiger Titel, mit Glitzer und Attitüde. Und auf den ersten Blick ein Widerspruch. Salons und Sozialisten, das passt nicht zusammen. Auf den zweiten Blick vereinigen die Kulturhäuser der DDR jedoch beides: das Besondere mit dem Gleichen. Während nach der Wende viele Kulturhäuser – von denen es in den Städten und auf dem Land insgesamt etwa 2.000 gab – noch in einem guten Zustand waren, sind die meisten Häuser heutzutage lost places im Wortsinn. Verlorene Orte, aus den Augen verloren.

Nun gibt es zu diesem traurigen Thema ein neues Buch. Der Titel Max braucht Gesellschaft ist gleichzeitig eine aufmunternde Bestimmung. Das von Christoph Liepach herausgegebene Buch widmet sich einem der wichtigsten Kulturpaläste in der DDR: dem Kulturpalast des VEB Maxhütte Unterwellenborn. Das von Josef Kaiser entworfene und 1955 eröffnete Haus für das wichtige und große Stahlwerk in Thüringen gilt als Archetyp der Bauaufgabe. Es steht seit 1987 unter Denkmalschutz und seit 1990 leer. Für Architekt Wolf R. Eisentraut ist es nicht weniger als das „Sanssouci“ unter den Kulturhäusern. Und trotzdem kennt dieses Haus von zweifelsfrei nationaler Bedeutung fast keiner.

Der Kulturpalast entstand zeitgleich zur Stalinallee in Berlin. Kaiser arbeitete zusammen mit Hans Hopp von der Bauakademie in Berlin und schuf ein Haus im Stil des sozialistischen Klassizismus: mit einem Portikus als Haupteingang, Säulen, Kapitellen und Pilastern. Wie viele andere große Kulturhäuser wurde auch das in Unterwellenborn von einem angrenzenden Kombinat betrieben. Kultur wurde in den Häusern oft selbst gemacht. Denn die Arbeiter*innen sollten laut „Bitterfelder Weg“ auch kulturell aktiv sein im Sozialismus – eine zeitlos kluge Idee.

Max braucht Gesellschaft ist Geschichtsbuch, Aufruf und Kunstwerk zugleich. Der leinengebundene Band ist in einem Schuber aufbewahrt und wurde mit einer Prägung in metallischem Blau versehen. Neben ganzseitigen Fotos vom heutigen Zustand findet man auch Visualisierungen für ein potenzielles Morgen sowie Textbeiträge von sieben Autor*innen.

So berichtet der ehemalige Kulturhausleiter Michael Goschütz im Prolog von einer unwirklich anmutenden Szene, die flächendeckend in ganz Ostdeutschland nach der Wende an der Tagesordnung war: „‘Migo, kommen Sie schnell rüber …Auf dem Parkplatz liegt ein Haufen Zeug … Instrumente, Bücher und und und …Holen Sie, was Sie können, sonst holt es morgen die Müllabfuhr!’ Was ich kurz darauf sah, entsetzte mich zutiefst. Teure und wertvolle Musikinstrumente aller Art, wunderschöne Auftrittsgarderobe des Maxhüttenensembles, Möbelstücke und technische Geräte auf einem Riesenhaufen. So wurde also unsere Kultur in dieser schönen neuen Kulturwelt ‘entsorgt’. Unfassbar!“

Das Stahlwerk steht noch immer, die Betreiber kommen heute aus Brasilien. Für den multifunktionalen Kulturpalast mit Tanzsaal, Kino, Bibliothek, Café und Restaurant ist die Zukunft ungewiss. Er verfällt seit 1990. Für zehn Millionen Euro würde der Eigentümer aus Franken verkaufen, was er einst selbst für 150.000 Euro mit der Auflage, zu pflegen und zu sanieren, erwarb.

Der Titel des Buches Max braucht Gesellschaft erzählt auch Geschichte. Unter der Losung „Max braucht Wasser“ strömten 1949 Jugendliche aus der ganzen Republik nach Thüringen, um eine Wasserleitung für das Stahlwerk zu bauen – ein riesiges, euphorisches Aufbauwerk wie es viele nach dem Krieg gab. Jetzt ist die junge Generation der Enkel gefragt, das Erbe zu retten. Damals brauchte der Ort Wasser zum Leben. Heute brauchen Orte wieder Menschen, einen neuen Sinn, Ideen und vor allem: Geld.

Text: Danuta Schmidt

Max braucht Gesellschaft. Der Kulturpalast des VEB Maxhütte Unterwellenborn
Christoph Liepach (Hg.)
144 Seiten
Sphere Publishers, Leipzig 2024

ISBN 978-3-910737-01-3
32 Euro


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Eingangsfront des Kulturpalastes Unterwellenborn heute

Eingangsfront des Kulturpalastes Unterwellenborn heute

Foyer im ersten Obergeschoss

Foyer im ersten Obergeschoss

Der Kulturpalast nach seiner Fertigstellung im Jahr 1955

Der Kulturpalast nach seiner Fertigstellung im Jahr 1955

Probe für eine Tanzaufführung vor dem Kulturpalast im Jahr 1955

Probe für eine Tanzaufführung vor dem Kulturpalast im Jahr 1955

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