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06.03.2025

Buchtipp: Orte für das Selbst

Die Architektur von Charles W. Moore


Ein Architekt, der wie ein Psychologe agiert und sein Haus im Playboy publiziert hat? Richtig, es geht um Charles W. Moore, der durch seine Mitwirkung an der Piazza d'Italia in New Orleans als zentraler Protagonist der Postmoderne gilt. Allein diese Kombination dürfte reichen, um zum Buch Orte für das Selbst. Die Architektur von Charles W. Moore zu greifen. Während die erste Geschichte dem Autor und ehemaligen BauNetz-Redakteur Achim Reese als flotter Einstieg dient, erfährt man auf rund 230 Seiten, was es mit der zweiten auf sich hat, nämlich der Psychologie im Schaffen des Architekten.

Gleich zu Beginn beschreibt Reese, wie Moore sich jenes im Playboy veröffentlichte kleine Haus als private Residenz umbaute. Der Architekt öffnete die Decken der flachen Innenräume und stellte sperrhölzerne Türme ein. So entstanden „einander durchdringende Räume, die sich durch historische Versatzstücke und illusionistische Spielereien auszeichneten“. Dieses Haus in 403 Elm Street New Haven (1966-71) wird nun im Buch als „gebaute Visitenkarte“ für Moores architektonisches Verständnis eingeführt.

Dabei geht es nicht um die Postmoderne als formalen Widerspruch zur Moderne oder selbstgenügsames Spiel mit Zeichen. Reese hat im Werk Moores, der über die Jahre in verschiedenen Büros involviert war, einen gesellschaftspolitischen Anspruch ausgemacht. Es sei dem US-amerikanischen Architekten darum gegangen, den Menschen mit seinen Gebäuden „ihr Selbst zu vergegenwärtigen“. Nicht um eine pure Individualisierung seiner Nutzer*innen zu befördern, erläutert Reese, sondern um die Voraussetzung für politisches Handeln im öffentlichen Raum zu schaffen, das nach Hannah Ahrendt auf „Vielheit und Verschiedenheit der Stimmen“ beruhe. So habe sich Moore gegen die uniformierenden Tendenzen der industriellen Massengesellschaft gewandt.

Um diesen Ansatz zu verfolgen, arbeitete Moore wie ein „Architekten-Psychologe“, wird dessen Biograf Kevin Keim zitiert. „Er hatte die Fähigkeit, anderen zu vermitteln, dass das, was sie sagten, wichtig ist.“ Reese zieht in seinem Text viele dieser breit gefächerten Referenzen heran – etwa aus der Architekturtheorie, Soziologie und vor allem Psychologie –, mit denen er versucht, Schritt für Schritt Parallelen und Anknüpfungspunkte in Moores Werk aufzudecken.

Man schaut dem Autor hier gewissermaßen beim Forschen zu. Bautypologisch führt der Weg dabei von Moores Einfamilienhäusern zu seinen öffentlichen Bauten und Stadträumen. Gleichzeitig werden dabei diverse interessante Nebenstränge präsentiert, etwa die Einflüsse von Camillo Sitte auf die Platzgestaltungen, die von Louis Kahn auf die Hierarchie der Innenräume oder der Vergleich von Moores Privathaus mit dem des Psychiaters Carl Gustav Jung.

Schließlich erfahren wir auch, dass Moore nicht nur versuchte, die Eigenheiten seiner Bauherr*innen einem Psychologen gleich in Architektur zu übersetzen. Vielmehr beteiligte er die Nutzer*innen – auch bei größeren Bauvorhaben – direkt an den Planungen. Für derart partizipative Ansätze entwickelte Moore mitunter sogar Gesellschaftsspiele oder Live-Fernsehshows.

Text: Maximilian Hinz

Orte für das Selbst. Die Architektur von Charles W. Moore
Achim Reese
272 Seiten
Deutsch
Birkhäuser Verlag, Basel 2025
ISBN: 978-3-0356-2875-3
36 Euro


Zum Thema:

Das Buch basiert auf der Dissertation von Achim Reese. Eine andere Tiefenbohrung als Forscher der jüngeren Architekturhistorie unternahm er im Rahmen der BauNetz WOCHE #628 „Superstudio in Ostwestfalen“.


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