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10.01.2025
Von der Parteischule zum Zoll
Sanierung und Erweiterung in Erfurt von Mark Escherich und Behzadi Architekten
Früher stand Marximus-Leninismus auf dem Stundenplan, heute lernen hier Berufsschüler*innen alles, was man über den grenzüberschreitenden Warenverkehr wissen muss. Die ehemalige SED-Parteischule in Erfurt wurde in ein Bildungszentrum für künftige Zollbeamte umgewandelt. Bei der Anpassung des zeittypischen, vierflügeligen Stahlskelett-Baus mit Audimax, Seminarräumen, einer Mensa und einem Internatshochhaus konnten Denkmalpfleger Mark Escherich (Erfurt) und Behzadi Architekten (Berlin) von einem Bestand profitieren, der die Jahrzehnte nahezu unverändert überdauerte.
Die einstige Internatsschule entstand zwischen 1969 und 1972 nach Entwürfen des Kollektivs um Heinz Gebauer, Walter Schönfelder, Erich Neumann und Gottfried Mempel. Ursprünglich diente sie der innerparteilichen Kaderbildung der SED, nach der Wende nutzte das Land Thüringen den Komplex für die neu gegründete Fachhochschule. In den 2000er-Jahren prägten verschiedene Nutzungen den Bau. Tagungen, Konzerte und Flohmärkte fanden statt. Auch wurde die ehemalige Parteischule als Pension und Filmlocation genutzt.
Nicht zuletzt durch die pragmatische Zwischennutzung – bei der das Vorhandene als willkommene Kulisse diente – blieb der Bau in großen Teilen unangetastet. Dadurch sei eine regelrechte Zeitkapsel entstanden, so Denkmalpfleger Escherich, der sich schon seit Jahren für den Erhalt der Ostmoderne einsetzt. Nicht nur das Original-Mobiliar, Vorhänge und Tapeten blieben erhalten, sogar das Besteck der Mensa konnte bewahrt werden. 2008 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt – als einzige in Gänze erhaltene SED-Bezirksparteischule.
Rund 100 Millionen Euro kostete die 2023 fertiggestellte Sanierung. Vergangenes Jahr wurde sie mit dem Thüringer Denkmalschutzpreis ausgezeichnet. Die denkmalpflegerische Erfolgsgeschichte sei direkt mit dem privaten Investor Andreas Müller verbunden, sagt Escherich. Dieser kaufte den Komplex 2012 und machte sich für die behutsame Sanierung stark. Mit der Generalzolldirektion habe er schließlich eine passende Nutzerin gefunden, deren Raumanforderungen nahezu identisch mit dem Bestand gewesen seien. Heute bietet die Einrichtung 430 Apartments, 16 Lehrsäle sowie 13 Arbeits- und Besprechungsräume für fast 500 Zollschüler*innen pro Semester.
Die größten Veränderungen am Komplex, der aufgrund seiner klosterähnlichen Geschlossenheit auch „Rotes Kloster“ genannt wird, wurden am rückseitigen Seminarflügel durchgeführt. Dort ergänzten die Planer*innen einen Anbau sowie eine Aufstockung und brachten zusätzlich fast 130 Schülerapartments unter.
Besonders prägend für den Bau sind seine plastischen Fassaden. Große Teile des Audimax-Quaders über dem Haupteingang konnten bewahrt werden, etwa die blauen Emaille-Kacheln und sogar Attikaverkleidungen und Aluminium-Fensterelemente. Lediglich das zwölfgeschossige Apartmenthochhaus erhielt an den Längsseiten eine zusätzliche äußere Dämmung, die das urprüngliche Fassadenrelief nachbildet. Einigen Teilen der Gebäudehülle gab man einen neuen weißen Anstrich. Dieser macht das Ensemble zum einen wieder besser als Gesamtkomplex wahrnembar, zum anderen hebt er die erhalten gebliebenen Elemente kontrastreich hervor.
Auch im Inneren bleibt die Ostmoderne deutlich spürbar. Im Foyer, in der Mensa und im Klubraum, dem „Vilniuszimmer“, wurden Oberflächen sowie Teile des Mobiliars aufgearbeitet. In den sogenannten Lektionssälen und der Mensa sei der Erhalt der Deckenelemente jedoch nicht möglich gewesen, so Escherich. Hier wurden über 2.000 nachgebildete Elemente vor Ort gegossen und eingebaut. Im Audimax wurde das originale Mobiliar leicht angepasst, um Brandschutz, Rollstuhlgerechtigkeit sowie dem neuen Lehrbetrieb gerecht zu werden. Auch das von Siegfried Terber und Werner Wagner gestaltete Wandbild „Sozialistische Gesellschaft“ – das lange Zeit hinter einem Vorhang verborgen blieb, begrüßt nun wieder Ankommende im Foyer. (dsm)
Fotos: Mark Escherich, Martin Maleschka, Markus Schmidt
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Die blauen Emaille-Kacheln des Audimax-Kubus am Haupteingang konnten bewahrt werden.
Zahlreiche Details wie etwa Tapeten und Beleuchtung blieben erhalten.
Charakteristisch für den Bau sind seine plastischen Fassaden, deren Betonformelemente einen neuen Anstrich erhielten.
Im Audimax wurde das Original-Mobiliar aufgearbeitet und leicht angepasst.
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