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12.09.2024

Kunst und Kultur im Kraftwerk

Umbau und Erweiterung von Stenger2 Architekten und Partner in München


In München sind alle nennenswerten Kulturorte in einen Dornröschenschlaf versunken? Von wegen! Im äußeren Westen ist das Bergson Kunstkraftwerk entstanden: Ein architektonisches Schmuckstück mit vielseitigem Nutzungskonzept – privatwirtschaftlich initiiert, pragmatisch umgesetzt. Das Beste daran: Hier wird ein weiterer Schritt in die dringend notwendige Dezentralisierung des Millionendorfs getan. Zeit, sich am Stadtrand umzuschauen.

Von Sabina Strambu

Im westlichen Münchner Stadtteil Aubing eröffnet seit April nach und nach das Bergson Kunstkraftwerk. Mit Blick auf den neuen Kulturbau kommt man um einen Vergleich nicht herum: Die Generalsanierung des Gasteigs stagniert, das Konzerthaus im Werksviertel wird – wenn überhaupt – massiv abgespeckt, und die öffentliche Nutzung der Paketposthalle ist vielleicht nur ein schöner Traum. Da bleibt viel Raum, der gefüllt werden will. Und damit zu den guten Nachrichten: Mit Isarphilharmonie und HP8 hat der Gasteig eine äußerst gelungene Interimsstätte gefunden, im Haupthaus füllt die Zwischennutzung Fat Cat das Umbau-Vakuum und mit diversen anderen Projekten schafft es München, nicht ganz von der Landkarte bedeutender Kulturorte zu verschwinden. Nun gesellt sich sogar ein echter Höhepunkt dazu.

Baudenkmal mit skurriler Geschichte

Namensgeberin für das Bergson Kunstkraftwerk ist die angrenzende Straße beziehungsweise der französische Philosoph und Literaturnobelpreisträger Henri-Louis Bergson. Dort, in der äußeren Peripherie, zwischen lose verstreuten Wohn- und Gewerbesiedlungen, Bahnanlagen und Autobahnen, lag jahrzehntelang ein ehemaliges Heizkraftwerk brach. Entworfen hatte den Kubus ein unbekannter Architekt in den 1920er Jahren. Da es damals nicht zur Realisierung kam, landeten die Pläne in einer ominösen Schublade, aus der sie während des gigantomanischen, unrealisierten Vorhabens der Nationalsozialisten, den Hauptbahnhof nach Westen zu verlagern, wieder herausgeholt wurden. Die Umsetzung des Kraftwerks war ein Teil der dafür notwendigen Infrastruktur. Das inzwischen denkmalgeschützte Bauwerk nutzte die Bahn noch bis in die späten 1980er Jahre als Heizkraftwerk. Danach zerfiel der Bau zu einer stattlichen Ruine, die in der Münchner Subkultur und bei diversen Tierarten durchaus beliebt war.

2005 erwarb die Unternehmerfamilie Allguth rund um die Brüder Michael und Christian Amberger das Kraftwerk samt 20.000 Quadratmeter großem Areal. Sie entwickelten später die Idee, das Haus für die Stadtgesellschaft zu öffnen. Mitte der 2010er Jahre wurde dafür das Münchner Büro Stenger2 Architekten und Partner beauftragt, die bereits eine vergleichbare Umnutzung eines Kraftwerks in Obersendling realisiert hatten. Nach Rückbau der Hochöfen und der Einrichtung eines Biotops für die hier heimische Mopsfledermaus konnte die Transformation des ehemaligen Aubinger Heizwerks und eine Erweiterung zum Ensemble in nur drei Jahren fertiggestellt werden.

Vielseitige Kunst- und Kulturangebot

„Ich engagiere mich leidenschaftlich dafür, das leidige Thema monofunktionaler Bauten aus unseren Städten herauszubekommen“, sagt Architekt Markus Stenger. Am Stadtrand ist es seinem Team gemeinsam mit der Bauherrin Allguth GmbH und der Betreiberin Bergson GmbH sichtlich gelungen, ein breites Angebot auf einer verhältnismäßig kompakten Fläche und insgesamt 14.750 Quadratmetern Bruttogrundfläche zu integrieren. Dazu gehören etwa ein Konzertsaal mit 474 Plätzen und hochmodernem Akustiksystem sowie eine Galerie für zeitgenössische Kunst – einer Dependance der Berliner König Galerie – auf vier Geschossen im Neubau. Dazu kommen Eventflächen, eine Tagesbar, ein Restaurant, ein Biergarten, eine Kleinkunstbühne bzw. ein Live-Club sowie weitere Galerieflächen und Räume für Firmen- und Privatfeiern im und rund um den imposanten Bestand.

Stilsicherer Umbau und Neubau

Das Flair der industriellen Vornutzung bleibt innen gewollt sichtbar. Keine verdeckten Leitungen, polierte Edelstahlkamine für die Abluft der Küche, große Kupferrohre für Warmwasser, sichtbare Lichttechnik an der Kassettendecke oder ein neuer Kran auf der Zwischenebene, der bei Wartungs- und Reinigungsarbeiten im 20 Meter hohen Raum hilft. Erhalt und Bespielung dieses großen Zentralraums als Foyer sei Leitidee des Entwurfs gewesen, berichtet Stenger. Hinzugekommen ist dort ein quaderförmiger Einschub für die Gastronomie, dazu gezielte Ergänzungen für die Erschließung.

Ansonsten bleiben die Struktur des Stahlbetonskeletts, die Relikte der mächtigen Silos in Sichtbeton, die Hülle aus Vollziegeln sowie charakteristische Fenstereinfassungen, Stufensockel und Traufgesims aus Nagelfluh erhalten. Trotz neuer Stahlfenster, wiederhergestellter Verblechungen und Innenausbau ist die Patina des Bestands weiterhin präsent. Lediglich nach Nordwesten wurde die Fassade aufgebrochen. Hier schließt der langgestreckte Neubau über einen gemeinsamen Empfangsbereich an. Beteiligt an dem Projekt waren auch Arnold/Werner für die Innenarchitektur, das Ingenieurbüro Aster im Bereich der Statik und Ohnes & Schwahn (alle München) für die Landschaftsarchitektur.

Vernetzung mit der Stadt

Der Konzertsaal dient künftig als Heimat für ein eigenes Jazzorchester. Doch auch Symphonie- oder Opernvorstellungen seien dank des sogenannten Vivace-Systems denkbar. Dieses ist in der Lage, für unterschiedliche Formate die passende elektroakustische Hülle zu simulieren. Die Betreiber*innen zeigen sich offen und sind durchaus mit den städtischen und freistaatlichen Institutionen in Kontakt, die bekanntlich an der ein oder anderen Stelle Raumbedarf anmelden dürften. Die Vernetzung von Hoch- und Subkultur sei hier durchaus gewollt, so die Betreibergesellschaft. Das Preismodell für Kulturveranstaltungen sieht ein „Fair-Price-Ticket“ für 39 Euro vor. Wer sich das nicht leisten kann, darf ohne Nachweis auch das „Social-Price-Ticket“ für 24 Euro wählen.

50.000 Besucher*innen sollen bereits in den ersten drei Monaten den Weg nach Aubing gefunden haben. Spätestens nachdem das Haus am 9. Oktober 2024 vollständig und feierlich eröffnet, darf sich jeder und jede selbst ein Bild machen. Wenn man bei der Anreise mit der nur im 20-Minuten-Takt verkehrenden S-Bahn und einem tristen Fußweg ein Auge zudrückt, lohnt sich das allemal. Künftig soll auch dieser Weg durch Streetart bereichert werden.

Fotos: Laura Thiesbrummel, Sascha Kletzsch, Markus Huber, Sebastian Reiter, Georg Stirnweiß, Bergson


Zum Thema:

Am kommenden Dienstag, 17. September gastiert die Heinze ArchitekTOUR 2024 im neuen Bergson Kunstkraftwerk. Neben Vorträgen und einer Ausstellung mit Industriepartnern gibt es auch eine Führung durch das Haus mit dem Architekten Markus Stenger persönlich. Melden Sie sich noch heute an!


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