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14.08.2024

Hochwasserschutz in Grimma

Gespräch mit Thomas Will


Das Hochwasser in Mitteleuropa im August 2002 traf Sachsen und die Stadt Grimma besonders hart. Der historische Stadtkern liegt direkt an der Mulde, der Fluss hat in dem Bereich keine Ausweichflächen. Die daraufhin aufwendig gebaute Hochwasserschutzanlage erhielt 2022 den Sächsischen Staatspreis für Baukultur. Der Architekt und Denkmalpfleger Thomas Will, seinerzeit Professor für Denkmalpflege und Entwerfen an der TU Dresden, gehörte zu den Ausgezeichneten.

Gespräch: Friederike Meyer


Herr Will, wie sind Sie dazu gekommen, eine Hochwasserschutzanlage zu planen? Das klingt eher nach einer Aufgabe für Ingenieure.
Grimma ist in einer schwierigen Lage. Bei Hochwasser gibt es nur sechs Stunden Vorwarnzeit. Ohne technischen Schutz kann man das nicht lösen. In der Altstadt von Grimma stehen zudem zahlreiche denkmalgeschützte Bauten, besonders bedeutende direkt am Flussufer. Im Jahr 2005 rief die Stadt Grimma bei mir an der TU Dresden an, ob ich bei der Hochwasserschutzanlage helfen könne. Ich habe daraufhin die Arbeitsgruppe Hochwasserschutz und Denkmalpflege gebildet. Wir waren fünf Leute und konnten das Projekt in Grimma laut HOAI „gestalterisch beraten“. Ich verantworte also die architektonische und denkmalpflegerische Einbindung, wozu auch die Mitwirkung bei der Trassierung gehörte. Auftraggeberin und Bauherr war die Landestalsperrenverwaltung Sachsen. In diesem Staatsbetrieb arbeiten über 700 Fachleute, vor allem Ingenieure und Projektmanager, aber keine Städtebauer, Landschaftsarchitekten oder Architekten. Grimma ist ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit der Kooperation mit diesen Fachbereichen.

Wie konnten Sie sich im Sinne der Baukultur einbringen?
An der Planung waren sechs große Ingenieurbüros beteiligt. Erste Simulationen zeigten damals eine 3,5 Meter hohe Betonmauer. Sie hätte das Bild der Stadt und ihren stadträumlichen Bezug zum Wasser vollkommen verändert. Alle waren in Aufruhr. In der Kommune, beim Denkmalschutz und in der Landesdirektion traf die Planung auf Ablehnung. Damit der Hochwasserschutz im Planfeststellungsverfahren dennoch genehmigt werden konnte, brauchte es also die Mitwirkung der in unserer Arbeitsgruppe vertretenen Disziplinen. Wir sagten: Das muss eine tolle Promenade am Wasser werden, damit der Stadtraum insgesamt profitiert und auch die Touristen weiter kommen. Grimma litt ja auch an Bevölkerungsschwund.

Was haben Sie anstelle der Mauer vorgeschlagen?
Wir konnten zum Beispiel durchsetzen, dass anstelle einer Mauer die öffentlichen Gebäude am Wasser ertüchtigt werden. Maueröffnungen sind dort durch Klappen zu verschließen. Das wollten die Ingenieure und der Bauherr zunächst nicht, weil das in Sachsen noch nie gemacht wurde. Sie akzeptierten den Vorschlag dann aber und konnten damit sogar Geld sparen. Das Schloss von Grimma, wo heute das Amtsgericht seinen Sitz hat, die Landesschule, die Klosterkirche und die Polizeidirektion im ehemaligen Amtshaus, alles bedeutende Baudenkmale, wurden ertüchtigt.

Was genau bedeutet das?
Das Sockelmauerwerk bekam eine Zementinjektion, sodass es dem Wasserdruck standhalten kann. Das ist nicht neu. Kompliziert sind die 12 Meter Hochwasserschutz unter der Erde. Man musste die Gründung des historischen Mauerwerks mit der Bohrpfahlwand verbinden. Diese verhindert, dass das Grundwasser in die Stadt drückt. Am Gymnasium wurden die Sockelfenster zugemauert. Für alle derartigen Details lieferten wir Zeichnungen, auch wenn ich vom Vertrag her nur „Berater“ war. Ich sagte zum Team: Wir zeichnen erstmal alles, was baulich in Erscheinung tritt und stimmen es dann mit den eigentlich planenden Ingenieuren ab. Das war nur machbar, weil Bauherr und Stadt uns vertrauten. Und weil ich als Hochschullehrer das Projekt als dienstliche Forschungsarbeit behandeln konnte, womit mein Honoraranteil für viele Überstunden des Teams zur Verfügung stand. So konnten wir uns gründlich in die Themen einarbeiten.

Was können Kommunen, die derzeit Hochwasserschutz planen, von Grimma lernen?
Das Thema Stadtraum und Fluss darf man nicht nur technisch sehen. Hochwasserschutz ist eine Gemeinschaftsaufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge. Solche technischen Großanlagen haben auch im Regelfall, also wenn kein Hochwasser herrscht, städtebauliche Auswirkungen, die es planerisch zu nutzen gilt. Man sollte baulich nichts überstürzen, möglichst alle Betroffenen anhören und die Komplexität der Aufgabe nicht unterschätzen. Wir haben die Bürger ins Rathaus eingeladen und gefragt, was ihnen wichtig ist. Es war ein teures und langfristiges Verfahren. Eine Hochwasserschutzanlage soll ja auch mindestens 100 Jahre halten. Das wollte der Bauherr. Und auch wir Architekten fanden es wichtig, dass ein solch aufwendiges Bauwerk so dauerhaft wie möglich gestaltet wird.

Fotos: Till Schuster



Zum Thema:

Dem Hochwasserschutz in Grimma widmet sich auch ein ausführlicher Beitrag im Fachportal „Wasserkreislauf“ bei Baunetz Wissen.


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