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10.07.2024

Buchtipp: Idylle und Ideologie

Hermann Mattern and the Landscape to Live In


Landschaftsarchitektur zählt nicht unbedingt zu den Schwerpunkten in der Redaktion BauNetz Meldungen. Wenn hier nun die Dissertation Idyll and Ideology. Hermann Mattern and the Landscape to Live In vorgestellt wird, die in englischer Sprache, auf über 400 Seiten und mit fast ebenso vielen Abbildungen einen einzigen deutschen Landschaftsarchitekten diskutiert, muss das also gute Gründe haben.

Der samtig geflockte Bucheinband in tiefstem Dunkelgrün und das dezent manierierte Design können es nicht sein, obwohl der Berliner Gestalter Harri Kuhn hier ein Buch gestaltet hat, das meilenweit von vielen akademischen Publikationen entfernt ist und bereits als Objekt sehr überzeugt. Vielmehr ist es Hermann Matterns überaus vielschichtige Biografie quer durch Weimarer Republik, Drittes Reich und Nachkriegsdeutschland, die dieses Buch empfehlenswert macht. Mattern (1902–71) ist außerhalb von Fachkreisen ein wenig in Vergessenheit geraten, darf aber getrost als eine der zentralen Figuren der deutschen Landschaftsarchitektur im 20. Jahrhundert gelten.

Autor Lars Hopstock (der an der RPTU Kaiserslautern Landschaftsarchitektur lehrt) geht das komplexe Thema mit der notwendigen kritischen Präzision und auf Basis intensiver Archivrecherchen an. Vor allem breitet er einen ungemein reichen Schatz an Plänen, Zeichnungen und Fotografien aus, anhand derer er in die Geschichte der Freiraum- und Gartengestaltung quer durch die politischen Systeme navigiert. Dass er dabei mit langen, erklärenden Bildunterschriften arbeitet und den Blick im allerbesten Sinne leitet, ist nicht nur für eilige Leser*innen vorbildlich. Noch verdienstvoller ist die 40 Seiten lange Einleitung, in der Hopstock die „Tendenzen der modernen Gartengestaltung“ zwischen 1895 und 1933 darlegt.

Erst auf Seite 71 geht es dann richtig mit Mattern los. 1924 kam er zum Studium nach Berlin, das er 1927 abschloss. Hopstock beschreibt die frühen Jahre in der Weimarer Republik, Matterns geschickte Positionierung zwischen den verschiedenen gestalterischen Trends der Zeit und seine produktive Auseinandersetzung mit sozialreformerischen Planer*innen wie Leberecht Migge. Ganz entscheidend sind in diesen Jahren die Zusammenarbeit und Ehe (1928–35) mit Herta Hammerbacher sowie der Gärtner, Staudenzüchter und Autor Karl Foerster, um dessen Gärtnerei bei Potsdam sich der „Bornimer Kreis“ bildete.

Nach der „Machtergreifung“ arrangierte sich Mattern mit den Nationalsozialisten, wurde NSDAP-Mitglied, plante unter anderem den Privatgarten von Albert Speer oder die große Reichsgartenschau 1939 in Stuttgart, wurde aber von den Nationalsozialisten trotzdem als „politisch unzuverlässig“ betrachtet, wie Hopstock schreibt. In den späten 30er Jahren Zeit bewegte er sich auch im Kreis um Hans Scharoun, der in der „inneren Emigration“ war. Zusammen entstanden einige kleine, aber wichtige Privathäuser und Gärten. Matterns Grußformel unter einem Brief dieser Jahre „Nicht nur mit deutschen, sondern auch freundlichen Grüßen“ gibt vielleicht einen gewissen Hinweis, wie er seine Karriere steuerte.

Nach 1945 wurde er zu einer zentralen Figur der westdeutschen Landschaftsarchitektur. Unter anderem arbeitete er an der Bundesgartenschau 1955 in Kassel. Er war Mitglied des club 53 um Arnold Bode, der im Rahmen der Bundesgartenschau die erste documenta organisierte. Als langjähriger Professor und mit seinem immensem Ouevre von über 650 Projekten übte er auf spätere Landschaftsarchitekt*innen erheblichen Einfluss aus. Ein mehr als ausgefülltes Leben also, voller Widersprüche zwischen sozialreformerischen Ideen, Blut und Boden-Ideologie und programmatischem Neuaufbruch in der Nachkriegszeit.

Text: Gregor Harbusch

Idyll and Ideology. Hermann Mattern and the Landscape to Live In
Lars Hopstock
Englisch
416 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2024
ISBN 978-3-98612-059-7
52 Euro


Zum Thema:

Am kommenden Donnerstag, 18. Juli 2024 um 19.30 Uhr stellt Hopstock sein Buch im Bücherbogen am Savignyplatz (Stadtbahnbogen 593, 10623 Berlin) vor, um anschließend mit Architekturtheoretikerin Adria Daraban und Landschaftsarchitektin Anna Lundqvist (Man Made Land) darüber zu sprechen. Die Veranstalter bitten um Anmeldung per E-Mail.


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Herrmann Mattern in der Zwischenkriegszeit

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Hermann Mattern, Reichsgartenschau 1939 in Stuttgart

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1933 baute Hans Scharoun für Mattern und Hammerbacher ein Wohnhaus in Bornim. Die Gartengestaltung lag bei Mattern und Hammerbacher.

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Hermann Mattern, Eingangsbereich samt experimenteller Leichtbauarchitekturen auf der Bundesgartenschau in Kassel 1955

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