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07.12.2023
Substanzielles Umdenken
Engagement gegen Abrisse in München, Berlin, Bonn und Köln
Im Wochentakt erreichen uns in der Redaktion Stellungnahmen, Petitionen und Protestaufrufe, die Abrisse von Gebäuden verhindern wollen. In Köln, Bonn, München und Berlin zum Beispiel fordern Initiativen den ökologisch dringend gebotenen Erhalt von Großstrukturen. Welche Fakten und Argumente stecken dahinter?
Von Sabina Strambu
Wenn Stadträume neu gestaltet oder Flächennutzungsbedürfnisse befriedigt werden sollen, stehen Bauwerke mit veralteter Substanz oftmals im Weg. So sind es derzeit vor allem Gebäude aus den 1960er und 1970er Jahren, die ins Visier der Abrissbirnen geraten. Doch im ganzen Land formiert sich öffentlich wirksamer Widerstand. Inzwischen listet ein Abriss-Atlas Beispiele auf, Forderungen nach einer Abrissgenehmigungspflicht oder einem Abrissmoratorium werden lauter. Weil es bundesweit viel zu lockere gesetzliche Vorschriften gibt, sind es meist Initiativen von Einzelpersonen, Fachleuten und Verbänden, die Argumente, Studien und auch Entwürfe zusammentragen, um die Entscheidung von Eigentümern und Bauherren für einen Erhalt zu beeinflussen.
Studiobau auf dem BR-Funkhausgelände in München
Der Studiobau des Bayrischen Rundfunks (BR) an der Marsstraße in München ist vom Abriss bedroht. Der Schauplatz unzähliger Konzerte, Aufnahmen und Veranstaltungen internationalen Rangs soll einer Neustrukturierung des BR-Stammgeländes Platz machen. Bis Ende 2025 zieht ein Großteil der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt nach Freimann. Rund ein Drittel der Bebauung auf dem innerstädtischen Areal wird zwar erhalten – darunter das von Richard Riemerschmid 1929 errichtete, inzwischen mehrfach umgebaute und denkmalgeschützte Funkhaus sowie nach jetzigem Stand das 1976 fertiggestellte Hochhaus an der Arnulfstraße von Helmut von Werz. Die übrigen Flächen sollen jedoch als Mediencampus neu entwickelt werden. Anstelle des Studiobaus ist etwa ein Multifunktionssaal geplant. Eine mit 300 Millionen Euro veranschlagte Sanierung sei zu teuer, so der BR.
Derweil formiert sich in der Fachwelt, unter Kulturschaffenden und in der Öffentlichkeit Widerstand gegen den geplanten Abriss. Abgesehen von den ökologischen Aspekten, wird dabei auch mit der kulturhistorischen Bedeutung des 1963 eröffneten Studiobaus argumentiert. Er wurde nach Plänen von Josef Wiedemann, Werner Eichberg und Otto Roth errichtet. In einer aktuellen Stellungnahme betont der BDA Bayern, der sich aktiv für den Erhalt einsetzt, das Gebäude vereine „zukunftsweisende architektonische, ingenieurtechnische und raumakustische Lösungen mit hochwertiger baukünstlerischer Ausführung“.
Ob in der Presse, über eine Unterschriftenaktion oder auf einer Demonstration im Herbst – die Rufe nach Erhalt des Studiobaus werden immer lauter. Möglicherweise mit Wirkung: Das Landesamt für Denkmalpflege wird in der Süddeutschen Zeitung damit zitiert, die Prüfung der Denkmaleigenschaften sei – nach jahrelanger Ablehnung – nun doch noch nicht abgeschlossen.
Hochhaus An der Urania 4–10 in Berlin
Eine Petition soll in letzter Minute den Abriss des Hochhauses an der Ecke An der Urania/Kurfürstenstraße in Berlin-Schöneberg verhindern. Errichtet wurde es für den Berliner Rechnungshof 1967 unter Mitwirkung von Werner Düttmann – eine zentrale Figur des damaligen Westberliner Baugeschehens. Eigentümer ist das Land Berlin, das auf dem Grundstück ein Neubauensemble für Wohnen, Gewerbe und Verwaltung entwickeln will.
Das mittlerweile entkernte Hochhaus gilt als schadstoffbelastet durch die synthetische Bauchemikalie PCB. Die als Sondermüll geltenden Primärquellen sind bereits entfernt. Die Restbelastung der Sekundärflächen ließe sich durch Versiegelung eindämmen, denn beim Abriss könnten die Schadstoffe erst recht in die Umwelt gelangen – argumentiert die Initiative an.ders Urania, der Personen aus Architektur, Stadtplanung, Landschaftsarchitektur, Soziologie und Kunst angehören. Sie schlägt den Verwaltungsbau daher als „Testlabor für eine PCB-Sanierung“ vor.
Das Baukollegium Berlin hatte im Sommer eine Machbarkeitsstudie für die Weiternutzung der Gebäudestruktur empfohlen, doch diese ist nie ausgeschrieben worden. Die Initiative hat nun eine alternative Machbarkeitsstudie erstellt. Diese zeigt Umnutzungskonzepte auf und rechnet vor, dass durch Aufstockung, Erweiterung und Umbau die gewünschte Zusatznutzfläche von 6.000 Quadratmetern entstehen könne und rund 13.000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart würden.
Das Bonner Stadthaus
Weniger akut bedroht, dafür umso größer im Maßstab ist der Bonner Verwaltungssitz, das sogenannte Stadthaus. Bis 1977 nach Plänen von Heinle Wischer und Partner (Stuttgart) errichtet, ist das einst 182 Millionen Deutsche Mark teure Bauwerk mit fünf Hochpunkten und bis zu 17 Geschossen ein Zeugnis des verkehrsgerechten Stadtumbaus. Während Autos schnell zur Garage finden, erschweren eine vielbefahrene Straße und Parkflächen im Sockelbereich den fußläufigen Zugang zur wichtigsten Behörde der Stadt. Ein Fundus an Signaletik- und Kunst-am-Bau-Elementen bereichert den Komplex.
Infolge des hohen Sanierungsbedarfs – unter anderem sind 300 Betonstützen im Untergrund zuletzt als marode befunden worden – rückt auch immer wieder ein Abriss ins Visier der Stadtpolitik. Der BDA Bonn-Rhein-Sieg hält dem bereits seit Längerem Erhaltungsszenarien entgegen. Im Sommer 2022 präsentierten seine Mitglieder dazu drei Vorschläge. So könne man das Haus sanieren und erweitern (und durch die Stadtverwaltung weiternutzen), teilnutzen oder aber in ein gemischtes Quartier transformieren – und dabei jeweils zur Stadt hin öffnen.
Unter anderem mit einer T-Shirt-Aktion sowie mit Führungen machen einzelne Stadtakteure auf die Werte des Bestands aufmerksam. Die Entscheidungsfindung erweist sich jedoch als sehr langwierig. Auf Anfrage der Journalistin Uta Winterhager erklärte das Presseamt der Stadt Bonn, sie arbeite an einer neuen Beauftragung einer Zusammenfassung der bisher erstellten Gutachten zum baulichen Zustand des Stadthauses, die dann der Politik vorgelegt werden könne.
Justizzentrum in Köln
Die Frage, wie und ob Großbauten der Nachkriegszeit langfristig Graue Energie einspeichern und damit zu Modellprojekten eines zeitgemäßen Umgangs mit Ressourcen werden könnten, stellt sich auch in Köln. Dort ist das mit 1.800 Mitarbeiter*innen größte Justizzentrum Nordrhein-Westfalens dem Abriss geweiht. Es soll im Laufe des nächsten Jahrzehnts rückgebaut werden und als Neubauensemble wiedererstehen.
Nach einem städtebaulichen Wettbewerb von 2022 im Auftrag des landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetriebs (BLB) ging der Entwurf von HPP Architekten mit Vössing Ingenieurgesellschaft (beide Düsseldorf) als Sieger hervor. Ein Hochbauwettbewerb schließt nun daran an. Fünf flache Bauten sollen unter anderem das markante, 23 Geschosse zählende Gebäude von 1981 ersetzen – die Baukosten lagen seinerzeit bei 127 Millionen Deutsche Mark. Obwohl die Sanierungsfähigkeit des Hochhauses im Vorfeld der Wettbewerbsauslobung durch Gutachten bestätigt wurde, stünden die Weichen auf Abriss und Neubau, kritisiert der BUND NRW in einer Pressmitteilung diesen Sommer. Der Kölner StadtAnzeiger berichtet indessen von erheblichen Verzögerungen im Abrissplan.
Zum Thema:
BauNetz berichtete unter anderem auch über die Abrissdebatten rund um das Justizzentrum in München, die Zentralbibliothek in Köln, den Staudenhof in Potsdam und das Generalshotel in Berlin-Schönefeld.
Kommentare:
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München: rechts im Bild der vom Abriss bedrohte Studiobau an der Marsstraße auf dem BR-Funkhausgelände, links der denkmalgeschützte Riemerschmid-Bau
Berlin: hofseitige Aufnahme des Gebäudes An der Urania 4–10 von Werner Düttmann, Karlheinz Fischer und Klaus Bergner
Bonn: Panoramaansicht des Stadthauses
Köln: das dem Abriss geweihte Justiz-Hochhaus (rechts im Bild) an der Luxemburger Straße im Stadtteil Sülz; Foto: Atamari / Wikimedia Commons: CC BY-SA 3.0 Deed
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