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12.07.2023
Buchtipp: Von Superblocks bis Woven City
Mobility Design. Die Zukunft der Mobilität gestalten
Bahn und Beine geben es nicht her, also greift man zum Individualverkehr – wenige Monate durfte die Friedrichstraße in Berlin auf symbolischen 500 Metern Länge durchatmen, nun sind die motorisierten Fahrzeuge zurück. Schaut man in die temporär zum öffentlichen Raum erklärten Sommerstraßen nach München, wo Anwohner*innen die weggefallenen Parkplätze und den angeblichen Lärm der Nutzer*innen beklagen, begreift man schnell, dass die Verkehrswende in Deutschland so mancherorts auf der Wendeplatte feststeckt.
Doch gibt es landein, landaus viele andere Beispiele, die Hoffnung machen. Nicht zuletzt haben die vergangenen, von der Corona-Pandemie geprägten Jahre aufgezeigt, wie Städte resilienter werden können. Dass durch die längst überfällige Reform des Straßenverkehrsgesetzes in Deutschland nun auch Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung in der Planung berücksichtigt werden sollen, ist vielleicht ein Handlungsanstoß für mutige Länder und Kommunen.
Doch gilt es auch, den Blick vom rein quantitativen Verkehr hin zur qualitativen Erfahrung der Fortbewegung zu weiten. Es geht um Mobilität. Dass ihre bisherige Formen überdacht werden müssen, steht fest. Wie dies gelingen kann, fasst eine im Jovis Verlag erschienene, zweibändige Publikation nüchtern und faktenbasiert zusammen.
Im ersten Band der Schriftenreihe Mobility Design. Die Zukunft der Mobilität gestalten stellen die Herausgeber Peter Eckart und Kai Vöckler außergewöhnliche Projekte und Konzepte für klimafreundliche Mobilität vor. Ihre Ausgangsthese lautet: „Die Qualität der Interaktion der Nutzenden mit dem Mobilitätssystem ist zentral für die Akzeptanz neuer Mobilitätsformen.“ Anders gesagt: Gute Gestaltung fördert das Umdenken. So trägt auch das Erscheinungsbild von Verkehrsinfrastrukturen, Transportmitteln, Bauwerken, Stadträumen, Objekten und selbst von Informationen entscheidend zum positiven Mobilitätserlebnis bei. Die sechzig in diesem Buch versammelten weltweiten Beispiele aus Design, Architektur und Stadtplanung machen das mehr als deutlich.
Wer noch nichts von den Superblocks in Barcelona, von der Seilbahn in Medellín oder der Toyota Woven City gehört hat, kann dies hier unauffällig nachholen. Die Bandbreite der Beiträge umfasst außerdem kluge Fahrradinfrastrukturen in unseren Nachbarländern Niederlande und Dänemark, Bahnhofsarchitekturen von Brasilien bis Japan, Wegeleit- und Navigationssysteme, Stadtmobiliar, Sharing-Konzepte, futuristische Trambusse und viele weitere, typologisch sehr unterschiedliche Beispiele. Fast jede Seite öffnet eine kleine Schatzkiste an Ideen und Inspirationen. Einem historischen Abriss zu Beginn wird ebenso Raum geboten wie der Fachterminologie. Begriffe wie intermodale Mobilität, seamless mobility, Interface, Vernetzung, augmented oder visionary mobility erfahren fein geclustert und mit den entsprechenden Praxisbeispielen garniert eine Definition und notwendige Einordnung.
Diese Einteilung greift auch der zweite Band auf, der Erkenntnisse aus einer interdisziplinären Forschungskooperation zusammenfasst. Neben Vöckler und Eckart treten hier Martin Knöll und Martin Lanzendorf als weitere Herausgeber auf. Die Kapitel – diesmal durch einen Farbschnitt markiert – umfassen jeweils Aufsätze zahlreicher Autor*innen, Wissenschaftler*innen und Forschenden aus den Bereichen Design, Architektur und Stadtplanung, Sozialwissenschaften, Verkehrsplanung, Psychologie und Kommunikationstechnologie. Beispielsweise wird das an der HfG Offenbach entwickelte Modell menschenbezogener Mobilitätsgestaltung vorgestellt, das in einem Leitfaden für zukünftiges Mobilitätsdesign für Planende, Gestaltende sowie Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft resultiert.
Dass die in Band 1 vorgestellten Beispiele meist Kunst- und kryptische Namen tragen und diese das Inhaltsverzeichnis bilden, dient nicht immer der schnellen Orientierung. Ort und Typologie oder ein Index am Ende des Buches wären eine durchaus gute Ergänzung gewesen. Doch davon abgesehen lädt die schön gestaltete und mit Bildern, Grafiken und prägnanten Erklärungen reich ausgestattete Publikation dazu ein, auf eine besondere Welt- und Erkenntnisreise zu gehen. Es wäre einen Versuch wert, auf Basis fundierter Daten auch hierzulande die Zukunft grüner zu gestalten, nicht nur seitlich der Fahrbahn.
Text: Sabina Strambu
Mobility Design. Die Zukunft der Mobilität gestalten
Band 1: Praxis
Peter Eckart, Kai Vöckler (Hg.)
304 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2021
ISBN 978-3-86859-646-5
42 Euro
Band 2: Forschung
Kai Vöckler, Peter Eckart, Martin Knöll, Martin Lanzendorf (Hg.)
256 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2022
ISBN 978-3-86859-742-4
42 Euro
Beide Bände sind auch auf Englisch erschienen.
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