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09.11.2022
Museum im falschen Gehäuse
Zum Kunsthaus Das Minsk am Potsdamer Brauhausberg
Ende September eröffnete in Potsdam Das Minsk, ein neues Kunsthaus der Hasso Plattner Foundation. Von vielen wird es als Rettung der ikonischen DDR-Gaststätte am Brauhausberg gefeiert. Unser Autor erkennt darin vielmehr das bittere Ende eines Trauerspiels.
Von Wolfgang Kil
Zu Beginn gleich eine Richtigstellung: Mit dem unlängst eröffneten Museumsneubau am Potsdamer Brauhausberg wurde kein Stück DDR-Architektur gerettet. Das beeindruckende, von vielen Potsdamern umschwärmte Terrassenrestaurant „Minsk“ war – so die Auskunft des beauftragten Büros heinlewischer (Berlin) – nach jahrzehntelangem Leerstand nicht mehr zu retten. Es wurde deshalb „bis auf die Tragstruktur rückgebaut und neu aufgebaut. Es war ja auch nicht denkmalgeschützt.“ Im Grunde muss man das Haus, das jetzt den bereits aufgegebenen Bauplatz am Hang neu belebt, zur Reihe jener Bauten rechnen, die – oft unter Mitwirkung desselben Sponsors – Potsdam zu einem Mekka der Rekonstrukteure werden ließ. Nach Stadtschloss, Palais Barberini und Garnisonkirche nun auch Das Minsk: ein Historien-Fake! Nur, dass es jetzt eben DDR-Architektur betrifft.
Während aber am Parlamentsneubau zumindest eine ironische Sentenz verrät, dass es sich hier beileibe um kein „Schloss“ handelt, gibt es für die Diskrepanz zwischen Hasso Plattners Museumsneubau und dessen Vorgeschichte keinen Fingerzeig. In unserer schnelllebigen Zeit wird die abstrakte Namenskreation in Versalien DAS MINSK eher früher als später dafür sorgen, dass bei der Nennung niemand mehr an die belarussische Hauptstadt denkt, wodurch dem Ort auch noch nachträglich seine Geschichte ausgetrieben wird.
Gegen solches Vergessenmachen stemmte sich im Oktober eine Ausstellung. Für drei Wochen wurde im Rechenzentrum, dem alternativen Kunst- und Kreativhaus der Stadt, die Parallelgeschichte zweier Restaurants aufgerollt: des „Minsk“ in Potsdam und des „Potsdam“ in Minsk. Beide Häuser waren im Zeichen einer Partnerschaft zwischen der Stadt Potsdam und der Oblast (Bezirk) Minsk von Künstler*innen der jeweils namensgebenden Seite gestaltet worden. Beide Häuser überstanden den Systemwechsel der Neunzigerjahre nicht. In Minsk wurde aus dem „Potsdam“ mit viel Plüsch und Pomp ein „Grand Café“. In Potsdam verkam das „Minsk“ zum Symbol für das aggressive Desinteresse der neuen Stadtregierung am Architekturerbe der DDR. Während in Potsdam der Mäzen Hasso Plattner 2018 die durch Leerstand verwilderte Ruine kaufte, um sie zu einem Museum für DDR-Kunst umzubauen, begannen in Minsk, Aktivist*innen Material für eine Ausstellung zu sammeln. Deren Höhepunkt – ein binationales Online-Symposium unter Beteiligung etlicher Zeitzeug*innen – geriet 2020 zur letzten großen Aktion des Goethe-Instituts in der belarussischen Hauptstadt vor dessen Schließung durch Machthaber Lukaschenko.
Von all diesen Hintergründen und Vorkommnissen erfahren heutige Besucher in Potsdam im Grunde nichts. Laut Paola Malavassi, der Direktorin des Kunsthauses, handelt es sich bei Das Minsk „um einen neuen alten Ort, der seine eigene Identität zwischen Erinnerung und Gegenwart finden muss“. Für die Erinnerung gibt es auf der Homepage des Museums vier historische Fotos sowie 21 Zeilen Text über die Bau- und Verfallsgeschichte der DDR-Gaststätte. Ansonsten wird auf den Nachbau der schwungvollen Spiraltreppe verwiesen sowie auf den Bartresen, dessen Verkleidung mit Bollhagen-Keramik sich immerhin bei der Farbwahl an der Bar des Vorgängers orientiert. Für die Gegenwart hat die Hasso Plattner Foundation vor ihrem Neubau drei schmale weiße Banner aufgezogen. Es handelt sich um einen Auftrag an die belarussische Künstlerin Rufina Bazlova, die in traditionellen Kreuzstick-Mustern die schweren politischen Unruhen in ihrer Heimat thematisiert – auch dies eine künstlerische Geste, mit der die Besucher*innen (sofern sie die Bildmotive überhaupt wahrnehmen) allein gelassen werden.
Unter den vier schwarzweißen Fotos auf der Website ist eines, das die ganze Abstrusität einer „historischen“ Verortung des neuen Kunsthauses enthüllt. Es zeigt den Blick von der oberen Terrasse der alten Gaststätte auf die Silhouette von Potsdams Innenstadt mit ihren Kuppeln und Türmen, umspielt vom Großgrün der Havelufer. Dies nämlich war einst der eigentliche Anlass für die gastronomische Investition gewesen: die prägnante Landschaftlichkeit des Brauhausbergs! Dessen flach abfallende Flanke hatten die Planer*innen zu DDR-Zeiten weidlich zu nutzen gewusst, mit Freitreppen, Springbrunnen, einer Schwimmhalle und eben einem Terrassenlokal. Wenn der ungemein gestischen Architektur des alten „Minsk“ eine Botschaft eingeschrieben war, dann diese: „Schaut auf die Stadt!“ Doch mit dieser Bestimmung ist es nun in doppelter Hinsicht vorbei. Nach innen, denn zum Schutz der Kunst muss ein Großteil der neu eingesetzten Panoramafenster sorgfältig abgedunkelt werden. Und außen haben sich die Warnungen aller Kritiker*innen auf das entsetzlichste bestätigt. Die kahle Rückwand der Großbadeanstalt „Blu“, dieser ungefügen Kiste aus dem Architekturbüro gmp · Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Projektautor Hubert Nienhoff), verstellt in lehmiger Blässe das Stadtpanorama komplett. Selbst bei Sonnenschein ist ein Platz auf dieser Terrasse eigentlich nur mit einem ordentlichen Glas Wodka zu ertragen.
So findet am Potsdamer Brauhausberg ein Trauerspiel zum bitteren Ende: Nach Parzellierung und Privatisierung der städtischen Hangwiesen, nach Abriss der beschwingten Schwimmhalle und Ersatz durch den bulligen Badebunker führt die an sich honorige Museumsgründung der Hasso Plattner Foundation zur Verballhornung der letzten architektonischen Reminiszenz eines stadtlandschaftlichen Gesamtkunstwerks, das erst unlängst im Feuilleton der FAZ zum „Sanssouci der Kommunisten“ geadelt worden war. Les temps sont passés! Da kommt es, um den „Rettungsaufwand“ wieder einzuspielen, auf ein paar Würfel- oder Reihenhäusle dann auch nicht mehr an.
Kommentare:
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Nach Stadtschloss, Palais Barberini und Garnisonkirche nun auch Das Minsk – ein weiterer Historien-Fake in Potsdam.
Der mit Keramik verkleidete Bartresen des Architekturbüros Linearama (Genua) orientiert sich bei der Farbwahl an der Bar des historischen Vorgängers.
Selbst bei Sonnenschein ist ein Platz auf der Terrasse des neuen Minsk eigentlich nur mit einem ordentlichen Glas Wodka zu ertragen.
Vom einst fantastischen Blick auf die Silhouette von Potsdams Innenstadt mit ihren Kuppeln und Türmen ist heutzutage nichts mehr zu ahnen.
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