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21.07.2022

Unter zehn Euro

Euroboden und Florian Nagler planen in München


Wer bessere Fragen stellt (zum Beispiel in Vergabeverfahren nach dem klügsten Konzept anstatt immer nur nach dem höchsten Gebot), bekommt oftmals bessere Antworten. So auch in München, wo im sogenannten Kreativquartier bei der Ausschreibung von Teilgrundstücken an der Heßstraße innovative Wege eingeschlagen wurden und laut Boulevardpresse nun nichts Geringeres als ein veritables „Miet-Wunder“ bevorsteht.

Die Stadt mit ihrem berühmt-berüchtigten Wohnungsmarkt hatte in einer Art „umgekehrten Bieterverfahren“ Bauträger*innen und Investor*innen um Vorschläge für bezahlbaren, gemeinwohlorientierten und nachhaltigen Wohnungsbau auf einem knapp 2.000 Quadratmeter großen Grundstück gebeten und zugleich eine Mietobergrenze von maximal 13,50 Euro festgelegt. Das Gegenangebot für diese auf den ersten Blick unerfüllbare Forderung: Der Sieger erhält das Grundstück in Toplage ebenfalls weit unter dem Marktpreis zu einem auf 80 Jahre festgeschriebenen, relativ günstigen Erbbauzins.

Mit ihrem Haus für München entschieden Bauträger Euroboden und Florian Nagler Architekten (München) das Verfahren im Dezember 2021 klar für sich, nicht zuletzt, weil sie den vorgegebenen Mietpreis noch deutlich unterboten und das provokante Preisschild „9,99 Euro/qm“ auf ihr Konzept kleben konnten.

Vorausgesetzt, alles kommt trotz krisenhafter Zeit wie angekündigt, dann werden in zwei Gebäuderiegeln insgesamt 42 Zwei- bis Vierzimmerwohnungen und eine Pflege-WG entstehen. Gemeinschaftsflächen, Abstellräume, 700 Quadratmeter Gewerbe und eine Tiefgarage gehören ebenfalls zum Programm. 60 Prozent der Wohnungen gehen an Menschen, die eine tragende Rolle in der täglichen Versorgung der Stadtgesellschaft oder der freien Wohlfahrtspflege spielen, vom Kindergärtner bis zur Feuerwehrfrau, wie Stefan Höglmaier von Euroboden die Zielgruppe in seiner Präsentation umriss. Die restlichen 40 Prozent werden frei vermietet, so dass sich in der Bewohnerschaft eine ausgewogene „Münchener Mischung“ einstellen soll.

Die Zusage von Euroboden, durch einen Vertrag mit Garantiepreis die aktuelle Baupreisentwicklung auf eigenes Risiko zu übernehmen, klang zum Zeitpunkt der Konzeptionierung im letzten Jahr sicher noch weniger kühn als jetzt. Das durch die Entwicklung von Luxusprojekten bekannt gewordene Unternehmen tritt bei diesem Vorhaben als Bauherr auf, will bestimmt kein Minus machen, wird mit dem Haus für München aber hinter den gewohnten Gewinnerwartungen zurückbleiben. Ein bisschen Idealismus der überzeugten Münchener Höglmaier und Nagler schwingt tatsächlich bei allem mit – zu schön, um wahr zu sein?

Euroboden sucht nun jedenfalls nach einem nicht ausschließlich renditeorientierten Investor und Vermieter, der das Projekt nach Fertigstellung übernimmt. Mehr als 9,99 Euro darf dieser frühestens nach Ablauf von fünf Jahren verlangen und die Miete auch nur mit Maß entlang der Veränderungen des Verbraucherpreisindexes erhöhen, so ist es festgeschrieben. Gedacht wird an die Kirche, Genossenschaften, Stiftungen – oder auch Unternehmen, die anderswo genügend Rendite erzielen und ihren Mitarbeiter*innen sowie der Stadtgesellschaft etwas Gutes tun möchten.

Ohne die Anwendung des „Einfach Bauen“-Forschungsprinzips von Florian Nagler wären weder die (nicht offiziell bestätigte) Bausumme von ca. 40 Millionen Euro noch die günstige Miete denkbar, die etwa um die Hälfte unter dem ortsüblichen Wert liegt. Wie in Bad Aibling umgesetzt und inzwischen vielfach prämiert, setzt Nagler auf eine pragmatische Konstruktion, in diesem Fall aus Holz, auf einfache, wartungsarme Haustechnik und robuste Materialien wie etwa Böden aus Sichtestrich. Wohnqualität versprechen die Bilder auch ohne goldenen Wasserhahn und Eichenparkett: Es gibt breite Laubengänge, eine für alle Mieter*innen zugängliche Dachterrasse und den sogenannten Dschungel, eine begrünte Gemeinschaftsfläche zwischen den beiden Riegeln. Sollte das Haus für München tatsächlich bis 2025 mit den genannten Zielstellungen realisiert werden, könnte es sich ohne Weiteres zu einem Prototyp für München und andere Städte und Gemeinden entwickeln – zum multiplizierbaren Miet-Wunder. (kv)


Zum Thema:

Mehrere genossenschaftliche Projekte in der Nachbarschaft sind in der Planung. Das Kreativquartier ist auch Thema der vorletzten Baunetzwoche#599.


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