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11.05.2022
Buchtipp: Synthetische Moderne auf drei Kontinenten
Erich Mendelsohn. Bauten und Projekte
Bei Le Corbusier hat es schon geklappt: 2016 wurden siebzehn Bauten und Ensembles des Architekten, verteilt auf drei Kontinente, als Weltkulturerbe anerkannt. Indessen formierte sich innerhalb des International Council on Monuments and Sites, kurz ICOMOS, eine israelisch-deutsche Initiative, um diese Ehre auch dem Schaffen Erich Mendelsohns zuteil werden zu lassen. Passend dazu vermittelt der großformatige Band Erich Mendelsohn. Bauten und Projekte von Carsten Krohn (der die Bauten alle neu fotografiert hat) und Michele Stavagna einen hervorragenden Überblick über Mendelsohns vielfältiges Oeuvre.
Auf mehr als 200 großformatigen Seiten zeigt das Buch auch jene Bauten, die Mendelsohn (1887–1953) – der Deutschland bereits kurz nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ verlassen hatte – in Großbritannien, Palästina und den Vereinigten Staaten plante. Gerade diese späteren Entwürfe waren in der Vergangenheit zumeist mit Geringschätzung bedacht worden. Mendelsohns vormaliger Mitarbeiter Julius Posener etwa hatte sie in seinen Lehrveranstaltungen mit dem höflichen, aber doch unzweideutigen Urteil ausgespart, dass sie eher zur „persönlichen Geschichte“ des Architekten denn zur Architekturhistorie gehörten. Indessen macht die Publikation neben allen Umbrüchen auch bemerkenswerte Kontinuitäten deutlich.
Bis hin zu den kalifornischen Bauten der 1950er Jahre, die Mendelsohn als „glückliche, entspannte Architektur“ bezeichnete, ist sein Werk nach Auffassung der Autoren vor allem durch das Streben nach Synthese bestimmt. So tragen seine Entwürfe, obschon skulptural durchformt, immer auch dem Kontext Rechnung. Gemeinsam mit Richard Neutra entwarf Mendelsohn 1923 ein Geschäftszentrum für Haifa, in dem nicht nur Wohnen, Arbeiten und Freizeit ineinander verzahnt sind, sondern auch der historische arabische Bestand berücksichtigt wird. Dabei wies Mendelsohn selbst auf den Unterschied zur Funktionstrennung in Le Corbusiers Ville Contemporaine hin, die die CIAM später zum Dogma erheben sollten. Das Geschick zur Synthese zeigt sich aber auch in der Villa Schocken, die in den 1930er Jahren in Jerusalem entstand. Das klargeometrische Volumen kommt ohne weißen Putz aus. Ganz selbstverständlich gelang es Mendelsohn, den Baukörper, aus dem sich Balkon und Fenstergitter als konvexe Rundungen wölben, in Jerusalemstein zu kleiden.
Spricht aus Mendelsohns Werk also eine sensiblere und damit vorbildlichere Moderne als etwa aus dem Schaffen des gleichaltrigen Le Corbusier? Dass auch Mendelsohn nach dem architektonischen Gesamtkunstwerk strebte, hat Ita Heinze-Greenberg anhand der Villa Schocken beschrieben. Während Mendelsohn ein „ehrgeiziges Ost-West-Programm“ verfolgt habe, das er „für die Rückkehr der Juden in das Land ihrer Väter für angemessen hielt“, sehnte sich die emigrierte Bauherrin Lilli Schocken nach den Alpenveilchen, die auch ihr Zwickauer Wohnhaus geziert hatten. Gleichwohl steht außer Zweifel, dass er mit seinem synthetischen Anspruch eine Architektur hervorbrachte, die mehr zu bieten hat als einfache Antworten auf komplexe Fragen.
Text: Achim Reese
Erich Mendelsohn. Bauten und Projekte
Carsten Krohn, Michele Stavagna
240 Seiten
Birkhäuser Verlag, Basel 2021
ISBN 978-3035620719
69,65 Euro
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Mount-Zion-Synagoge und Gemeindezentrum in St. Paul (Minnesota), 1950–54
Gebäudekomplex WOGA in Berlin, 1925–31
Haus Weizmann in Rechovot (Israel), 1934–36
Hutfabrik Steinberg, Herrmann & Co. in Luckenwalde, 1921–23
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