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14.04.2022
Zerstörung in der Ukraine
Architekt Dimitri Zhuikov über den Krieg in seiner Heimat
Der in Charkiw geborene und heute in München lebende Architekt Dimitri Zhuikov steht in engem Kontakt mit ehemaligen Kollegen und Freunden, die trotz des Krieges in der Ukraine geblieben sind. Für BauNetz hat er Fotografen kontaktiert, die in Charkiw, Mariupol und Mykolajiw unter Lebensgefahr zerstörte Gebäude dokumentieren. Am Telefon erzählt er, was ihn bewegt.
Ich wurde 1983 in Charkiw als Sohn einer Architektin geboren. Dort habe ich an der Technischen Universität für Bau und Architektur studiert, danach drei Jahre als Architekt gearbeitet und meine heutige Frau kennengelernt. Sie ist in Mariupol geboren und ebenfalls Architektin. Nach zwei Jahren in Kiew gingen wir gemeinsam Ende 2012 nach Dessau an die Hochschule Anhalt und machten 2016 unseren Masterabschluss. Seitdem leben und arbeiten wir in Deutschland. Nach Stationen bei RKW Architektur + in Düsseldorf und Nickl & Partner in München bin ich nun bei Drees & Sommer.
Ich habe sehr enge Verbindungen zu meinem Heimatland. Auch wenn ein Teil meiner Familie inzwischen nach Deutschland oder in sichere Regionen im Westen der Ukraine geflohen ist, habe ich viele Bekannte und Verwandte, die in der Ost-Ukraine geblieben sind. Die Menschen, die in Charkiw geblieben sind, wohnen seit Wochen im Keller, Luftschutzbunker oder in der U-Bahn. Viele bleiben in ihren Wohnungen, obwohl das lebensgefährlich ist. Jeden Tag bombardieren russische Streitkräfte die Städte mit Raketen wahllos und aus großer Entfernung. Die Flucht ist ebenso gefährlich. Zivilautos und Bahnhöfe stehen auch unter Beschuss.
Seit Beginn des Krieges sind laut Angaben des Oberbürgermeisters von Charkiw Igor Terekhov 454 Menschen in Charkiw gestorben. 1937 Gebäude, darunter 1671 Mehrfamilienwohnhäuser und 75 Schulen wurden zerstört, 70 Prozent der Krankenhäuser sind beschädigt oder zerstört (Stand 13. April). Darunter sind sehr viele bedeutende Bauten vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, Jugendstilgebäude. Die Innenstadt und große Wohngebiete am Stadtrand liegen in Trümmern, obwohl es dort keine Militärobjekte gibt. Die Bilder zeigen nur einen ganz kleinen Ausschnitt. Die Zerstörungen werden sorgfältig dokumentiert, die Arbeit in den Ämtern geht weiter. Die Straßen werden aufgeräumt, Leitungen repariert und sogar Parks gepflegt. Es gibt Architekten-Initiativen, die sich bereits Gedanken zum Wiederaufbau machen. Über konkrete Schritte kann man natürlich erst nach Kriegsende reden.
Die Stadt Mariupol, wo meine Frau geboren wurde, ist inzwischen fast vollständig zerstört. Laut Angaben des Gouverneurs der Region Donezk Pavlo Kyrylenko starben dort bisher über 20.000 Menschen (Stand 12. April). Nach Angaben der Stadtverwaltung sind 90% der Infrastruktur vernichtet und 40% der Bauten können nicht wieder aufgebaut werden. In Mariupol wurde in den letzten Jahren viel Geld investiert, unter anderem aus der EU und anderen Partnerschaften. Die öffentlichen Bauten, Schulen und Krankenhäuser wurden saniert, neue Parkanlagen gebaut, Stadtbusse gekauftund so weiter. Umso schmerzlicher ist es zu sehen, wie barbarisch das nun alles vernichtet wird. Die Verluste der Infrastruktur kann man mit den entsetzlichen Zahlen der Zivilopfer aber gar nicht vergleichen – das ist Völkermord.
Über den Gründer der Charkiw School of Architecture Oleg Drozdov und die Aktivistin Ganna Churkina, die unter anderem Aufnahmen von Zerstörungen in Charkiw sammelt, habe ich Kontakte zu den Fotografen in Charkiw bekommen. Die Fotos von Mariupol stammen aus meinem Bekanntenkreis. Das Fotografieren ist lebensgefährlich und vor allem in Mariupol seit über einem Monat kaum mehr möglich.
Ich habe diese Bilder zusammengetragen, weil ich möchte, dass meine Kollegen in Deutschland sehen, mit welch barbarischer Kraft die Ukraine konfrontiert ist. Ich möchte, dass diejenigen, die lieber wegschauen oder gar Russland zu rechtfertigen versuchen, begreifen, dass auch wir Architekten, Planer und Künstler in Deutschland der Ukraine helfen müssen. Dazu gehört zum Beispiel ein Stopp für Projekte in Russland. Dazu gehört der Umgang mit unserer Geschichte und die Aufarbeitung der Kulturpolitik. Die prorussischen Demos mit Fahnen und anderen Symbolen des Totalitarismus, die derzeit in den Städten stattfinden, sind aus meiner Sicht mit den fundamentalen Werten unserer liberalen demokratischen Gesellschaft nicht kompatibel.
Die Ukraine verdient es, sich verteidigen zu können. Wenn uns das gelungen ist, wird es für Architekten und Stadtplaner genug Arbeit geben. Auch in diesem Sinne wünsche ich mir die große Teilnahme der Kollegen aus Deutschland.
Aufgezeichnet von Friederike Meyer
Zum Thema:
Weitere Informationen zur Zerstörung von Bauten in der Ukraine: www.icomos-ukraine.com
Kommentare:
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Charkiw ist nach Kiew mit rund 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Seit Beginn des Krieges am 24. Februar wurden mehr als 1.900 Gebäude zerstört. Darunter Wohnhäuser in der Karbysheva Straße...
... die denkmalgeschützten Wohn- und Geschäftshäuser am Platz der Verfassung aus den Jahren 1915, 1894 und 1950...
... das Verwaltungsgebäude der Region Charkiw am Platz der Freiheit, erbaut 1954...
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