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13.04.2022
Buchtipp: Des Kaisers Nachmieter
Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss
Dieser Buchtipp kommt verspätet. Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss des Journalisten Christian Walther erschien bereits Ende Mai 2021 wenige Wochen vor Eröffnung des Humbolt Forums. Man staunt beim Blick auf den langen Pressespiegel. Das Buch wurde bisher scheinbar in keiner Architekturpublikationen besprochen. Dieses Versäumnis soll nachgeholt werden.
Des Kaisers Nachmieter ist ein umfangreich mit historischen Fotos bebildertes Buch über die wissenschaftlich und kulturell geprägte Nutzungsgeschichte des Berliner Schlosses vom Auszug der Hohenzollern 1918 bis zur Sprengung 1950. Walther hat damit einen Abschnitt der Bau-, Stadt- und Sozialgeschichte des Orts freigelegt, der in der öffentlichen und auch fachlichen Wahrnehmung über einen langen Zeitraum weitgehend unbeachtet blieb. Dieses Wissensvakuum ist verblüffend angesichts der jahrelangen Debatten um Schlossplatz und Humboldtforum. Man fragt sich, was möglicherweise anders gelaufen wäre, hätte man sich weniger mit dem Streit um feudale Fassaden und mehr mit dem republikanischen Impact des Vorvorgängerbaus befasst.
Nach den revolutionären Ereignissen bei Kriegsende füllten sich mit Beginn der Weimarer Republik die rund 1.200 Räume, Prunksäle, Zimmer, Bibliotheken und Kammern bis unter das Dach und überlagerten den monarchischen Bau mit neuen Inhalten und modernem Geist. Der zeigte sich auch durch die Zahl hier tätiger Frauen, meist Akademikerinnen, deren biografische Verbindungen mit dem Schloss die Kapitel strukturieren. Sie waren Teil der zahlreichen hochkarätigen Forschungseinrichtungen, Kulturinstitutionen und Privatinitiativen, die im Schloss einzogen.
Am Eosanderportal teilte sich die nach Kriegsende gegründete Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, später DFG Räume mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Adolf von Harnack und Max Planck hatten dort Büros. Für illustre Abendgesellschaften nutzte man den großen Kinderspielsaal der kaiserlichen Prinzen und für die renommierten Wintervorträge den ehemaligen Sitzungssaal des Preußischen Staatsrats. Hier referierte die erste deutsche Physikprofessorin Lise Meitner 1927 „Über den Bau des Atominneren“. Einrichtungen wie der Akademische Austauschdienst DAAD oder das einflussreiche Völkerrechtsinstitut besetzten ganze Zimmerfluchten. Das Psychologische Institut, Vorreiter der experimentellen Wahrnehmungsforschung, nahm mit seinen modernen Laboren drei Geschosse der Südwestecke an der Schlossfreiheit ein.
Auch soziale Initiativen gründeten sich. Die Reichstagsabgeordnete Marie-Elisabeth Lüders unterstützte die Einrichtung eines Studentinnentagesheims im Apothekerflügel. Die Schlossküche wurde zur Mensa umfunktioniert; die Entwürfe dazu stammten von Adolf Loos.
Als erste Kunstinstitution zog 1920 das Kunstgewerbemuseums mit Beständen des Martin-Gropius-Baus in den Lustgartenflügel ein. Es integrierte Teile der Bildersammlung, kostbare Zimmer und museal umgebaute Wohnräume der kaiserlichen Familie und war ein Publikumsmagnet. Das erste Sportmuseum weltweit gründete die Hochschule für Leibesübungen im Dachgeschoss. 1926 übernahm die Deutsche Kunstgemeinschaft die Silberkammer aus dem 16. Jahrhundert, ließ sie von Hans Poelzig mit Farbe und Licht als Galerie instand setzten und half mit Verkaufsausstellungen vielen Künstler*innen der Moderne durch die Wirtschaftskrise.
Nach 1933 waren die klassizistischen Säulenordnungen am Lustgarten als Kulissen nationalsozialistischer Aufmärsche beliebter als die barocken Schlossfassaden. Hier spielten Philharmoniker und Staatskapelle 1932–41 Freiluftkonzerte bei Fackelschein im Schlüterhof. Im Schloss saß auch die Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten, die im Zuge der Vermögensauseinandersetzungen mit den Hohenzollern 1927 die preussischen Schloss- und Gartenanlagen zu Museen machte und als Kulturgüter bewahrte. Beim 1945 teilzerstörten Stadtschloss gelang dies der Direktorin Margarete Kühn nicht.
In der Nachkriegszeit fanden im Weißen Saal mehrere große Ausstellungen statt. 1946 präsentierte Hans Scharoun als Stadtbaurat den Kollektivplan zum Wiederaufbau in der Ausstellung „Berlin plant“, der den Erhalt des Schlosses als städtebaulichen Angelpunkt im Zentrum vorsah. Denkmal- und Kunstwerte galten den 1949 die Macht übernehmenden DDR-Funktionären um Walter Ulbricht aber nichts. Ein Instandsetzungsgutachten wurde ignoriert. Auf den Trümmern sollte ein „sozialistischer Demonstrationsplatz“ entstehen und der abfällige Satz vom Schloss als „Machwerk und Ausdruck des Hohenzollernschen Imperialismus“ wurde geprägt. Irgendwie blieb das an dem Bau kleben.
Text: Ulrike Alber-Vorbeck
Des Kaisers Nachmieter. Das Berliner Schloss zwischen Revolution und Abriss
Christian Walther
184 Seiten
Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin 2021
ISBN 978-3-947215-28-7
25 Euro
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Erich Kleiber bei der Generalprobe im Schlüterhof, 1932
Mitarbeiter des Kaiser Wilhelm Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht auf dem Dach des Schlosses, Ende der 1930er Jahre
Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ über der Berliner Innenstadt und dem Schloss, 1928
Die Ausstellung "Berlin plant" fand von August bis Oktober 1946 im Weißen Saal des Schlosses statt
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