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29.06.2021

Abriss kontra Neubau

Zu den Plänen für Maaglive im Zürcher Industriequartier


In Zürich West soll ein weiterer Teil des Maag-Areals neu bebaut werden. Weil sich die Grundstückeigentümerin und Ausloberin eines entsprechenden Studienauftrags für den Entwurf von Sauerbruch Hutton (Berlin) entschieden hat, müssen die kulturell genutzten Maag-Hallen weichen. Dagegen regt sich nun Protest. Die Kritiker*innen wollen lieber den Vorschlag von Lacaton Vassal umgesetzt sehen. Was steckt dahinter?

Von Hubertus Adam

Kein städtebauliches Projekt steht so paradigmatisch für das Selbstverständnis von Zürich wie die in den 1990er-Jahren begonnene Transformation des Industriequartiers Zürich West in Kreis 5. Die Industrieareale sind Wohnungen, Büros und Kulturbauten gewichen, und abends verwandelt sich das Quartier zur Ausgehmeile. Das offizielle Zürich spricht von Erfolg auf ganzer Linie und ignoriert dabei die Schattenseiten: zu viel Homogenität und Hochpreisiges; unnötig viel zerstörte industrielle Bausubstanz und eine fehlende übergeordnete Freiraumstrategie.

Angesichts der Kontroverse, die der Studienauftrag Maaglive nun für einen Teilbereich des Maag-Areals ausgelöst hat, drängen all diese Bedenken wieder ins Bewusstsein. Das Maag-Areal liegt zwischen Bahnhof Hardbrücke und Pfingstweidstrasse und bildet – mit dem 2011 fertiggestellten Prime Tower von Gigon/Guyer – das Herzstück von Zürich West. Vor der Jahrtausendwende hatte die namensgebende Zahnradfabrik Maag die Produktion eingestellt und sich in die Immobiliengesellschaft Maag Holding verwandelt. Zusammen mit den Grundstückseigentümern Coop und Welti-Furrer wurde 2000 ein Studienauftrag für den städtebaulichen Masterplan Maag-Areal Plus ausgeschrieben, in dem sich Diener & Diener und Boesch Architekten durchsetzen konnten. Die daraus abgeleiteten Sonderbauvorschriften für das 11 Hektar große Planungsgebiet wurden 2008 vom Stadtrat in Kraft gesetzt – und gelten bis heute.

2004 verkaufte die Maag Holding ihre Liegenschaften, die etwa ein Drittel des Gesamtareals umfassen, an die Swiss Prime Site (SPS), die heute mit einem Portfolio von 12 Milliarden Franken die größte börsennotierte Immobiliengesellschaft der Schweiz ist. Dieses Gebiet wird von einem Industriegleis diagonal durchschnitten, auf dem weiterhin die Güterzüge zur Zürcher Stadtmühle fahren. Auf der südlichen Hälfte des Industriegleises ließ SPS bis 2011 das mit 127 Metern höchste Haus von Zürich und die beiden Nachbargebäude „Plattform“ und „Kubus“ nach Plänen von Gigon/Guyer realisieren, die den noch von der Maag Holding veranstalteten Wettbewerb gewonnen hatten. Das denkmalgeschützte Gebäude „Diagonal“ blieb als einziges Gebäude erhalten und wurde saniert.

Während viele Bereiche des Maag-Areals Plus inzwischen im Auftrag der anderen Grundstückseigentümer neu bebaut sind (unter anderem durch AGPS, Diener & Diener, Max Dudler sowie Meili, Peter) blieb auf der dreieckigen Parzelle nördlich des Industriegleises bis heute ein kompaktes Ensemble der ehemaligen Zahnradfabrik erhalten: Das denkmalgeschützte Gebäude K aus dem Jahr 1941 an der westlichen Spitze und die Maag-Hallen aus den 60ern sind als Hotspot der Ausgehszene etabliert, als Nukleus, der das Gesamtareal belebt – und überdies, dank ihres etwas ruppigen Charmes, mit der Geschichte des Ortes verbindet. Die Maag Music & Arts AG unterhält hier die Eventhalle Maag, den Club Härterei sowie das Bistro K2. 2017 wurde hier die Spielstätte des Tonhalle-Orchesters während der Renovierung von dessen Stammhaus am Ufer des Zürichsees installiert. Der hölzerne Konzertsaal, von Spillmann Echsle für 10 Millionen Franken realisiert, war aufgrund seiner Akustik hochgelobt und ermöglichte ein fast intimes Beieinander von Publikum und Orchester. Ein Trauerspiel, dass es nicht gelungen ist, eine Nachnutzung für diesen stimmigen Saal zu finden, der in diesem Sommer temporär in eine Halle für Licht-Installationsshows umgebaut werden soll.

Fast beiläufig wurde im März die Entscheidung des Immobilienkonzerns SPS bekannt, die Maag-Hallen bis auf das denkmalgeschützte Gebäude K abreißen und durch Neubauten nach einem Entwurf von Sauerbruch Hutton (Berlin) ersetzen zu lassen. Dem voran ging der private Studienauftrag „Maaglive“ von SPS, bei dem die Möglichkeit offengeblieben war, die Hallen oder zumindest Teile davon zu erhalten. Eingeladen waren acht Teams. Neben dem Projekt des Berliner Büros war auch der Beitrag von Lacaton Vassal (Paris) in die Überarbeitung geschickt worden. Die Idee der frisch gekürten Pritzer-Preisträger*innen, die Hallen zu bewahren, ihre Nutzungen beizubehalten und mit einem viergeschossigen Riegel und einer 14-geschossigen Scheibe samt Dachgarten zu überbauen, war von der Jury favorisiert worden: „Es entsteht eine einmalige Verbindung von Alt- und Neubauteilen, die nutzungsmäßig und architektonisch eine neue Einheit bilden. Diese Gleichwertigkeit von Alt und Neu bietet eine außerordentliche Qualität.“

SPS aber entschied sich für das Projekt von Sauerbruch Hutton. Dieses ergänzt das Gebäude K durch ein mehrheitlich dem Wohnen vorbehaltenes Hochhaus mit einer moderaten Höhe von 14 Geschossen sowie ein neues „Kulturhaus“ mit nicht definierter Nutzung. Dazwischen sollen im Sinne eines „ökologischer Stadtumbaus“ Bäume wachsen, die laut Maaglive-Projektseite  als „Stadtwald“ firmieren. Um nicht missverstanden zu werden: Das Projekt von Sauerbruch Hutton ist keine schlechte Architektur. Nur wird es an dieser neuralgischen Stelle der Tradition des Orts weniger gerecht als der Altes und Neues überlagernde Entwurf von Lacaton Vassal. Der ermöglicht es zudem, die Nutzung der Maag-Hallen in gewohnter Weise fortzuführen.

Die Pläne von SPS haben breiten Unmut hervorgerufen – bei Kulturschaffenden, in der Bevölkerung, aber auch unter Politiker*innen, und hier bemerkenswerterweise auch zum Teil im bürgerlichen Bereich. Der Initiative zur Umsetzung des Projekts von Lacaton Vassal schließen sich mehr und mehr Personen und Organisationen an. Das Informationsmanagement von SPS befeuert die Kontroverse zusätzlich: Die Tatsache, dass der Jurybericht bis heute nicht veröffentlich wurde, verstärkt den Eindruck, dass hier nicht mit offenen Karten gespielt wird. Natürlich muss SPS als nicht-öffentliches Unternehmen den Studienauftrag nicht publizieren und kann sich über Entscheidungen des Beurteilungsgremiums hinwegsetzen. Angesichts des öffentlichen Interesses an diesem Filetgrundstück aber ist das Vorgehen wenn nicht ignorant, so doch zumindest ungeschickt. Hinzu kommt, dass inhaltsreichere Informationen zunächst nicht der gesamten Presse zur Verfügung gestellt wurden, sondern zuerst in einer von SPS finanzierten Beilage zur Hochparterre-Ausgabe von Juni 2021 erschienen, die inzwischen im Netz verfügbar ist.

Lesenswert sind die Interviews mit den Beteiligten der kritisierten Planungen: Jurymitglied Mike Guyer sieht im SPS-Entscheid für Sauerbruch Hutton und damit für einen Abriss der Maag-Hallen eine verpasste Chance: „Wir sind uns alle einig, dass wir unser Denken und Handeln jetzt ändern müssen. Es wäre eine großartige Gelegenheit gewesen, diesen Wandel zu beginnen. Die politische Seite hätte das unterstützen sollen, um die Risiken zu reduzieren. Wir müssen umdenken. Heute, nicht morgen.“ Und rückblickend auf die Fertigstellung des Prime Tower-Areals vor zehn Jahren merkt Guyer selbstkritisch an: „Wir wussten um den Wert des erhaltenen Gebäudes Diagonal, aber an die anderen Bestandsgebäude dachten wir nicht. Im Rückblick ist mir klar geworden, wie schwierig es ist, mit Neubauten das gleiche pulsierende Leben zu erschaffen, das es davor gab. Diese Erkenntnis hat mich bei ‚Maaglive’ begleitet.“ Befremdlich klingen hingegen die darin veröffentlichten Worte der Zürcher Stadtbaumeisterin Kathrin Gügler: „Und wir haben … zwei Projekte mit sehr unterschiedlichen, aber ja relevanten Ansätzen. Wir sind nicht unflexibel, sondern unterstützen die Bauherrschaft, wie auch immer sie sich entscheidet.“ Ist es nicht Aufgabe der Politik, öffentliches Interesse gelten zu machen?

SPS führt als Argument gegen den Entwurf von Lacaton Vasssal baurechtliche Unwägbarkeit an. Tatsächlich könnte es aufgrund der bestehenden Sonderbauvorschriften, die östlich des Gebäudes K einen Straßendurchbruch festschreiben, zu Einsprachen und Verzögerungen bei der Umsetzung des Projekts von Lacaton Vassal kommen. Nur: Warum wurde der gesetzliche Rahmen nicht längst angepasst? Spätestens um 2015, als die Planungen für die Tonhalle Maag begannen, hätte die Frage gestellt werden müssen, wie es danach auf dem Areal weitergeht, hätten rechtliche Voraussetzungen für ihren Erhalt geschaffen werden können. Ein solches Vorgehen wäre im öffentlichen Interesse gewesen, aber die Stadt Zürich hat es versäumt. Ob aus Ungeschick oder aus Ignoranz, das bleibt offen. Ärgerlich ist es allemal.


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Sauerbruch Hutton: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Sauerbruch Hutton: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Sauerbruch Hutton: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Sauerbruch Hutton: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Lacaton & Vassal: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Lacaton & Vassal: Entwurf für den Studienauftrag Maaglive

Lageplan Maaglive auf dem Maag-Areal mit Bestandsbauten

Lageplan Maaglive auf dem Maag-Areal mit Bestandsbauten

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