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03.06.2021

Buchtipp: World Economic Forum

Davos Is a Verb


Ende Januar sind in Davos die Tage kurz und die Nächte lang. Wenn in dem Schweizer Bergort die Reichen und Mächtigen zum weltweit bedeutendsten Politik- und Wirtschaftstreffen zusammenkommen, herrscht Ausnahmezustand. Rund 3.000 Menschen bevölkern dann die 10.000 Einwohner-Gemeinde, die sich wie bei einem Kostümfest in eine Scheinwelt verwandelt. Das von Klaus Schwab gegründete World Economic Forum (WEF) fand 2020, kurz vor Ausbruch der Pandemie, zum 50. Mal statt. Der Fotograf Jules Spinatsch hat das Geschehen in seiner Heimatstadt mit der Kamera begleitet.

Das daraus entstandene Buch Davos Is a Verb wiegt schwer. Nicht nur weil die knapp 300 Seiten in Hochglanz bedruckt sind, sondern auch weil sie vom Zustand der Welt erzählen. „Spinatschs Bilder“, schreibt der britische Naturwissenschaftler Tim Jackson im zugehörigen gesellschaftsanalytischen Essay, „zeigen nicht die Macht, sondern die Realität dahinter.“ Wir sehen im Schneematsch wartende Sicherheitsleute und Handwerker mit signalfarbenen Arbeitswesten, auf Bänken picknickende Aktivisten und ins Gespräch vertiefte Gesichter an Stehtischen mit Stretchhussen, wie man sie von jeder Messe kennt. Wir schmunzeln über die tragikkomische Kombination aus Neonlicht und Weihnachtsglimmer, aus Welcome-Schriftzug und Absperrgitter, aus Berghüttenromantik und Businessambiente. Und wir lesen Slogans wie „#Growing Europe“, „Jetset Forever“ oder „Unsmoke Your Mind – Why Philip Morris International Is Here“. Es sind dichte, kontrastreiche Fotos, mit denen Spinatsch die visuellen Tricks des WEF seziert und Davos zugleich im Schlagschatten der Scheinwerfer und Kamerastative verschwinden lässt.

Auch dieses Verschwinden dokumentiert das Buch. In den Tagen des WEF gibt Davos seinen Alltag auf und verdient damit ein Vermögen. 60 Millionen Franken Umsatz waren es im Jahr 2017 allein für die Gemeinde. Erdgeschosszonen werden mit Planen verspannt, Tribünen am Straßenrand aufgebaut, Container und Zelte und Zäune aufgestellt. Wer kann, vermietet seine Läden, Büros und Wohnungen an Institutionen, Ländervertretungen und Konzerne. Die Promenade, die obere der beiden Hauptstraßen, die den Ort durchziehen, verwandelt sich dann in eine Meile aus Pop-up Stores ohne sichtbares Warenangebot. Da wird der Bergsportausstatter zum „Davos Russia House“, das Schuhgeschäft zur HSBC-Bankdependance, die Bowling-Bar zum „Microsoft Café“, der Buchladen zur „Salesforce Lodge“ und der Souvenirshop zur Lounge eines indischen Bundesstaates. 92 derartiger Zwischennutzungen sind im Buch aufgezählt.

Der Alpenort als Projektionsfläche und Kulisse, die Oberflächlichkeit der Wegwerfgesellschaft, das Heischen um Aufmerksamkeit und die Lächerlichkeit mancher Werbeslogans – was kann man nicht alles lesen in Spinatschs Bildern. In ihrer Vielzahl erzählen sie fast schon wie ein Film von der Flüchtigkeit des Moments ebenso wie von der Intransparenz der Macht und nicht zuletzt vom Gegensatz zwischen Licht und Schatten. Es ist dunkel geworden in Davos, letzten Januar blieben die Neonlichter aus. Das WEF 2021 wurde mehrfach verschoben, sollte zwischenzeitlich im August in Singapur stattfinden und wurde vor wenigen Wochen ersatzlos gestrichen. Die Geschichte macht dieses Buch nun umso mehr zum Zeitdokument.

Text: Friederike Meyer

Davos Is a Verb
Jules Spinatsch
Englisch

304 Seiten
Lars Müller Publishers, Zürich 2021
ISBN 978-3-03778-648-2
55,00 Euro

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