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31.03.2021

Im Bau: Tacheles Reloaded

Stadtquartier in Berlin von Herzog & de Meuron


Die prominenteste Brache in Berlin-Mitte gibt es nicht mehr: Rund um das ehemals besetzte Kunsthaus Tacheles wächst seit eineinhalb Jahren auf rund 25.000 Quadratmetern ein veritables, neues Stadtquartier aus dem Boden, dessen Grundstrukturen nun bereits deutlich sichtbar sind. Der Masterplan stammt von Herzog & de Meuron (Basel).

Von Florian Heilmeyer

Der Weg bis hierhin war lang. 1998 ging das Gelände für 80 Millionen DM aus öffentlichem Besitz an die private Fundus-Gruppe, das Kunsthaus Tacheles durfte mit befristeten Verträgen weiter genutzt werden. Parallel plante Fundus ein neues Quartier mit Hotel und Eigentumswohnungen, der 2003 vorgestellte Masterplan stammte von DPZ Codesign (Miami) und folgte weitgehend den Leitlinien des New Urbanism. Mit dem Bauantrag steigerte sich der Wert des Geländes, und nach der Räumung des Kunsthauses 2012 reichte die Fundus das Gesamtpaket für 150 Millionen Euro 2014 weiter an den internationalen Finanzinvestor Perella Weinberg Real Estate (New York/London). Diese engagierten 2014 Herzog & de Meuron für eine Überarbeitung des alten Masterplans, dessen Grundzüge im neuen Entwurf allerdings deutlich erkennbar blieben.

So geht es vor allem um die autofreie Durchwegung des Blocks zwischen Oranienburger, Friedrich- und Johannisstraße. Herzog und de Meuron drücken das ganz prosaisch aus: „Dafür füllen wir den Block zunächst vollständig auf und schneiden dann eine Folge von unterschiedlich proportionierten Plätzen, Höfen und Wegen wieder aus. Der Block wird porös und durchlässig.“ Diesen Umgang mit dem historischen Grundriss möchten sie nicht als „Rekonstruktion“ oder „Simulation“, sondern als „Interpretation“ verstanden wissen. 

Im Kern wird die historische Figur der Friedrichstraßenpassage (Entwurf: Franz Ahrens, 1907/1908) wieder aufgegriffen, die zur Bauzeit die zweitgrößte, ökonomisch allerdings enorm erfolglose Kaufpassage Berlins war. Von ihr ist das Kunsthaus Tacheles der letzte, erhaltene Rest. Der große Torbogen wird wie damals den Eingang zur Passage bilden, die dann mit einem Knick nach Westen zur Friedrichstraße führt. Sie wird allerdings nicht überdacht; statt eines großen Kuppelraums wird nun ein himmelsoffener, achteckiger Platz das Zentrum bilden. Gerahmt wird die gesamte Passage von dem Gebäude „Scape“ (Entwurf: Herzog & de Meuron), in dem 31.900 Quadratmeter Büroflächen entstehen sowie etwa 7.600 Quadratmeter für Gastronomie und Einzelhandel im Erdgeschoss. An drei Stellen überqueren Brückenbauten im sechsten Geschoss die öffentliche Passage, zur Friedrichstraße bilden zwei achtgeschossige Bauten in der Straßenfront eine Torsituation.

Diese historische Figur wird von einem weiteren, großen und zur Oranienburger Straße offenen Platz im Osten ergänzt. Diesen gab es schon bei DPZ, damals hieß er noch „Augustplatz“ (der Hauptinvestor der Fundus-Gruppe hieß Anno August Jagdfeld). Inzwischen trägt er auch offiziell den Namen „Aaron-Bernstein-Platz“. Um ihn herum entstehen weitere Büro-, hauptsächlich aber Wohngebäude namens Scale, Oro, Frame (alle von Herzog & de Meuron), Screen und Form3 ( Grüntuch Ernst Architekten ) sowie Laika (Brandlhuber+ Muck Petzet ). Alle Erdgeschosse werden mit Flächen für Gastronomie und Einzelhandel belegt, was für eine Belebung der öffentlichen Räume sorgen soll. „Bis auf den Hofgarten werden die Wege und Plätze des Stadtquartiers Tag und Nacht öffentlich zugänglich sein“, verspricht die Projektentwicklerin pwr development, allerdings wird ein privater Sicherheitsdienst „für die Sicherheit der Anwohner und Passanten“ sorgen.

Vom Bernstein-Platz führt ein Tordurchgang nach Westen zur Scale-Passage und ein weiterer nach Süden über den neuen „Johannisplatz“ zur Johannisstraße. Laut Angaben der Investoren bleiben 9.000 Quadratmeter des Areals unbebaut. In der Südostecke liegen um einen geschlossenen Innenhof, den „Hofgarten“, die letzten drei Neubauten: das Wohnhaus Vert (Herzog & de Meuron), das Wohnhaus Suites (Grüntuch Ernst) mit Health Club und Spa im Erdgeschoss sowie das Joux (Brandlhuber+ Petzet). Insgesamt sind das 10 Neubauten mit 86.500 Quadratmetern Bruttogeschossfläche über der Erde sowie 45.800 Quadratmetern im unterirdischen Sockelbau. Davon sind derzeit etwa 42.000 Quadratmeter für Büros, 11.000 Quadratmeter für Gastronomie und 45.800 Quadratmeter für 275 Wohnungen vorgesehen, darunter 133 Eigentumswohnungen zwischen 50 und 375 Quadratmetern – wobei die Projektentwicklerin darauf hinweist, dass die Planungen noch nicht abgeschlossen sind. Daher sind hier auch noch keine Grundrisse zu den Gebäuden veröffentlicht.

Herzog & de Meuron betonen, dass ihnen bei der architektonischen Ausgestaltung der sieben Wohngebäude eine typologische Vielfalt besonders wichtig war, die sie mit den beteiligten Berliner Architekturbüros gemeinsam erarbeitet haben. Im Frame entstehen hauptsächlich stützenfreie Loft-Wohnungen (75 bis 229 Quadratmeter) mit Raumhöhen bis zu 3,82 Meter. In den unteren Etagen von Vert werden mehrgeschossige Maisonetten als „Townhouses“ angeboten. Am spannendsten könnten diese typologischen Mischungen im Laika werden, wo Brandlhuber+ Petzet an einer langen Brandwand „Mikroapartments“ ab 27 Quadratmeter „für ein neues Existenzminimum“ entwickelt haben. Leider ist aber gerade bei diesem Haus kein aktueller Planungsstand zu erfahren.

Viel zu erfahren ist hingegen über den Sichtbeton und die großen Schiebe-Elemente im Frame oder den rosa eingefärbten Marmor im Treppenhaus des Joux, das als „avantgardistisches Schmuckstück“ angeboten wird. Die Kaufpreise für die Wohnungen werden nur ungefähr angegeben: Sie beginnen bei 10.000 Euro pro Quadratmeter, im Schnitt liegen sie im Gesamtprojekt bei 14.800 Euro pro Quadratmeter.

Architektonisches Highlight ist sicher das tortenförmig zulaufende, achtstöckige Wohngebäude Oro entlang der Oranienburger Straße mit seiner Fassade aus hellen, von Hand gebrochenen Ziegeln und den Rundbogenfenstern – eine Kombination, die schon 2014 und nur ein paar hundert Meter weiter am Spreeufer in der Tucholskystraße von David Chipperfield (siehe Bauwelt 37.2014) getestet wurde. Laut Entwickler ist das Oro die „neue Ikone im Stadtbild Berlins“ von „zeitlos klarer Geradlinigkeit“. Auf acht Etagen entstehen 3.960 Quadratmeter mit 14 Wohnungen zwischen 57 und 375 Quadratmetern sowie zwei Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss. Auch dieses Gebäude war bereits im Masterplan von DPZ angelegt, hieß damals noch das „Flatiron Building“ und sollte von Hammond Beeby Rubert Ainge (Chicago) entworfen werden.


Nicht weiter entwickelt werden derzeit die beiden Altbauten an der Friedrichstraße 112, für deren Sanierung ursprünglich Kahlfeldt Architekten engagiert waren. Trotz der Corona-Pandemie liegt die Baustelle des neuen Stadtquartiers im Zeitplan: Die Neubauten werden phasenweise zwischen Ende 2022 und Mitte 2023 einzugsbereit sein. Auch das private, schwedische Fotografie-Museum „Fotografiska“ plant die Eröffnung seines Berlin-Ablegers im alten „Kunsthaus Tacheles“ für Ende 2022. Für das Gebäude war eine kulturelle Nutzung vorgeschrieben. Fotografiska plant einen Betrieb auf 5.500 Quadratmetern, wo neben einem Restaurant, einem Shop und einer Bar auf dem Dach bis zu sechs Ausstellungen parallel gezeigt werden können. Die Sanierung des Gebäudes planen Herzog & de Meuron. Sie versprechen ein behutsames Vorgehen, bei dem die Spuren der Geschichte und Nutzung so weit wie möglich erhalten bleiben sollen.


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Zu den Baunetz Architekt*innen:

Muck Petzet Architekten
Grüntuch Ernst Architekten


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Herzog & de Meuron übernehmen die Sanierung des Kunsthaus Tacheles, 2022 zieht das Museum „fotografiska“ ein

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Blick durchs Tacheles-Tor auf die Baustelle der Scape-Passage

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Luftansicht des Gesamtprojektes

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Lageplan des Gesamtprojekts mit allen 10 Neubauten rings ums Tacheles

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