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24.03.2021

Buchtipp: Die Bodenfrage

Zwei neue Titel aus Berlin und Wien


Die Bodenfrage lässt sich ohne jede Übertreibung als eines der aktuell größten Diskussionsthemen an den Schnittstellen von Architektur, Politik und Stadtplanung bezeichnen. Die „Publikationsoffensive“ zu diesem kontroversen Thema, die der Rezensent bereits vor einem Jahr anlässlich gleich dreier Veröffentlichungen von Hans-Jochen Vogel, Florian Hertweck und der Basler Bodeninitiative festgestellt hatte, ist jedenfalls inzwischen nicht zum Erliegen gekommen – ebensowenig wie die öffentliche Debatte um die Frage nach Besitz und Zugänglichkeit von Grund und Boden, vor allem in den Städten.

Im Herbst 2020 wurden im Deutschen Architekturzentrum Berlin sowie im Architekturzentrum Wien, wiederum fast parallel, zwei Ausstellungen zum Thema eröffnet: „Die Bodenfrage“ (Berlin) respektive „Boden für alle“ (Wien). Nun konnten beide Ausstellungen aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen nur von wenigen Menschen besucht werden. Zum Glück öffnet uns die gegenwärtige Situation zugleich mehr Zeit, um die Kinder früh ins Bett zu schicken und im Homeoffice noch gemütlich zu lesen: Denn zu beiden Schauen sind empfehlenswerte Bücher erschienen, die sich auch ganz ohne Ausstellungsbesuch genießen lassen.

Der knallrote Band zur Berliner Ausstellung sieht dabei nicht nur aus wie ein programmatisches Manifest, er liest sich auch so. Er besteht im Kern aus einer Serie von über 65 Seiten verteilten, sehr eingängigen Postergrafiken, die wie schon in der Ausstellung die Komplexität des Themas in den drei Kapiteln Ökonomie, Klima und Gemeinwohl aufschlüsseln. Ein „Manual“ nennen das die Herausgeber*innen Stefan Rettich und Sabine Tastel. Gerahmt wird dieses Manual von zwei Einleitungen und einem Interview mit Ottmar Edenhofer, dem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sowie einigen Essays von Autoren wie Florian Hertweck, Dirk Löhr und Martin zur Nedden. Das Buch ist beides: sowohl Einstieg für die, denen das Thema noch nicht so geläufig ist, als auch eine gute Zusammenfassung und Übersicht – oder sogar Argumentationshilfe – für alle, die das Thema in der täglichen (politischen?) Arbeit betrifft.

Ganz anders der 320 Seiten schwere, zum Glück einsprachig deutsche Katalog „Boden für alle“ aus Wien. Neben allerlei Einleitungen und Essays zu den historischen Entwicklungen der Bodenfrage, unter anderem von Saskia Sassen und Robert Temel, bietet das Buch der beiden Herausgeberinnen und Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter einen besonderen Blick auf Österreich mit vielen Fallstudien und Projektbeispielen – sowohl aktuelle als auch historische wie etwa in aller Kürze über „Das Rote Wien“. Von dieser interessanten Österreich-Perspektive aus entwickelt der Band dann aber Verbindungslinien zu weiteren Debatten und Beispielen in Deutschland, Dänemark, Kolumbien, in den Niederlanden und der Schweiz, sodass sich am Schluss nicht nur ein ziemlich gutes Breitbildpanorama zum Thema eröffnet, sondern vor allem eine ganze Reihe äußerst inspirierender, konkreter Projekte, die bereits erste Schritte in Richtung einer neuen Bodenpolitik gehen. Und die in Summe als inspirierende Blaupausen für weitere, ähnliche Projekte in anderen Regionen und Ländern herhalten können.

Beide Bücher sind eindeutig keine Trittbrettfahrer, die nur in neuen Worten wiederholen, was woanders schon zu lesen stand. Es ist vielmehr so, dass die drei Bücher aus dem letzten Jahr und diese beiden aktuellen Kataloge in ihrer Summe Ausdruck einer lebendigen Diskussion sind, wie sie offensichtlich vor allem in Deutschland, der Schweiz und Österreich nötig und überfällig ist. Vielleicht wird sich ja die Coronakrise im Nachhinein als guter Moment entpuppen, um über genau solche schwerwiegenden Umsteuerungen des öffentlichen und ökonomischen Zusammenseins nachzudenken und geeignete Maßnahmen einzuleiten. Immerhin steht in Deutschland auch mal wieder ein „Super-Wahljahr“ bevor. Das passt doch alles ganz gut zusammen.

Nach der Lektüre der beiden Bücher ist man jedenfalls motiviert genug, um mit einigen Freunden zusammen loszuziehen und sofort eine eigene Bodeninitiative ins Leben zu rufen – oder den nächstgelegenen Community Land Trust zu unterstützen wie die neu gegründete Berliner Stadtbodenstiftung.

Text: Florian Heilmeyer

Die Bodenfrage – Klima, Ökonomie, Gemeinwohl

Stefan Rettich, Sabine Tastel (Hg.)
Deutsch
144 Seiten
Jovis Verlag, Berlin 2020
ISBN
978-3-86859-669-4
16,00 Euro

Boden für Alle

Karoline Mayer, Katharina Ritter und Angelika Fitz für das Architekturzentrum Wien (Hg.)
Deutsch
320 Seiten
Park Books, Zürich 2020
ISBN
978-3-03860-225-5
38,00 Euro


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Das Buch „Die Bodenfrage“ von Stefan Rettich und Sabine Tastel arbeitet mit zahlreichen Grafiken.

Das Buch „Die Bodenfrage“ von Stefan Rettich und Sabine Tastel arbeitet mit zahlreichen Grafiken.

Die Herausgeber*innen haben es in Form eines Manuals konzipiert.

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Der von Karoline Mayer und Katharina Ritter herausgegebene Band „Boden für alle“ entwickelt ausgehend von der Situation in Österreich Verbindungslinien zu internationalen Debatten.

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Hier der Stand der Zersiedelung im Rheintal: Luftbild von Dornbirn, 2017

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