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01.12.2020
Buchtipp: Architekturmaschine
Die Rolle des Computers in der Architektur
Es ist ein Drama! Kaum eines der vielen Gebäude, die aktuell in Deutschland für einen Architekturpreis nominiert sind, wäre in gestalterischer Hinsicht nicht auch bestens ohne die Verwendung eines Computers möglich gewesen. So viel Aufwand für nichts. Oder? Das Architekturmuseum der TU München blickt derzeit unter dem Titel „Die Architekturmaschine“ auf die Rolle des Computers in der Welt des Bauens. Mit dem gleichnamigen Ausstellungskatalog lässt sich das Thema in Ruhe vertiefen. Reich bebilderte Fallstudien zu historischen Entwicklungsstufen treffen auf einordende Essays. Entsprechend verschiedener Verwendungsformen ist das Buch in vier Kapitel geordnet: Der Computer wird ebenso als Zeichenmaschine wie als Entwurfswerkzeug diskutiert, aber auch als Medium des Geschichtenerzählens und hinsichtlich seines Potenzials als interaktive Kommunikationsplattform untersucht.
Gleich vorweg: Die von den Herausgeber*innen Teresa Fankhänel und Andres Lepik formulierte Ausgangsfrage, ob und vor allem wie der Computer die Architektur verändert hat, muss auch mit dieser Publikation offenbleiben – dafür befindet sich das Feld letztlich noch immer viel zu sehr in Bewegung, wie Fankhänel sinngemäß in ihrer Einleitung anmerkt. Trotzdem gibt das Buch hinsichtlich mindestens zweier Aspekte wichtige Hinweise. Da wäre erstens die groteske Asynchronität zwischen Theorie und Praxis, die sich aus den zunächst recht beschränkten technischen Möglichkeiten ergibt. Eine Folge ist beispielsweise, dass zwar schon ab den 1950er Jahren die grundlegenden Anwendungsszenarien für Computer in der Architektur formuliert werden konnten, wie anhand einiger wegweisender Grundlagenarbeiten beispielsweise von Steven Coon und Douglas Ross oder Nicholas Negroponte nachzuvollziehen ist. Dass aber erst Mitte der 1990er an der TU München im Diplom die Verwendung von Computerzeichnungen zulässig wird.
Diese zeitliche Verschiebung begründet zweitens eine fluktuierende Aufmerksamkeit gegenüber der Entfaltung des Computers in der Architektur. Waren gerade die universitären Pioniere begeistert von der Aussicht, dank digitaler Entwurfswerkzeuge zu einer besseren Architektur zu kommen, war ihr spätmoderner Enthusiasmus längst verflogen, als Computer tatsächlich anfingen, in Büros Fuß zu fassen. Dies geschah seit Mitte der 1980er Jahre und war im Sinne einer digitalen Zeichenmaschine vor allem eine Frage der Effizienz. Von der tief in der Postmoderne feststeckenden Architekturtheorie und -geschichte jener Jahre kaum begleitet, waren es vor allem technisch orientierte Büros im Zusammenspiel mit kommerziellen Softwareanbietern, die hier vorangingen. „Richtige“ Architekt*innen hielten zum Computer bis auf weiteres gebührend Abstand, nicht zuletzt dem Mantra folgend, nur der Mensch sei zu wirklich kreativer Arbeit fähig. Ausstellung und Katalog gelingt es dahingehend, nicht zuletzt auf Grundlage wegweisender Archivarbeit, wichtige historische Lücken zu schließen.
Mit Blick auf mögliche Rollen des Computers in der Architektur der nächsten Jahrzehnte kommt dies keinen Moment zu früh. Dass der Mensch überflüssig wird bei der Planung von Gebäuden und Städten ist zwar bis auf Weiteres nicht zu befürchten. Aber gleichzeitig ist anzunehmen, dass der Einfluss des Computers als entwurfsunterstützendes und nicht zuletzt auch entwurfsbewertendes Medium weithin zunehmen wird. Gerade gestaltungsaffinen Architekt*innen sollte deshalb daran gelegen sein, die Kontrolle über die Software nicht ausschließlich Informatikerinnen und Wirtschaftsingenieuren zu überlassen – aktuelle Diskussionen über die opake Macht der Algorithmen und künstlichen Intelligenzen machen dies mehr als deutlich. Die Herausgeber*innen Fankhänel und Lepik ebenso wie die Autor*innen der Essays – unter anderem Anna-Maria Meister, Georg Vrachliotis und Molly Wright Steenson liefern hierzu entscheidende Anknüpfungspunkte.
Text: Stephan Becker
Die Architekturmaschine. Die Rolle des Computers in der Architektur
Herausgegeben von Teresa Fankhänel und Andres Lepik
Deutsch oder Englisch
248 Seiten
Birkhäuser, Basel 2020
ISBN 978-3-0356-2155-6 (Deutsch)
ISBN 978-3-0356-2154-9 (Englisch)
39,95 Euro
Zum Thema:
Die Ausstellung im Architekturmuseum der TU München pausiert derzeit coronabedingt, wurde aber bereits bis zum 6. Juni 2021 verlängert.
www.architekturmuseum.de
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Cover der deutschen Ausgabe
Seiten aus „From Pencil Points to Computer Graphics“ von Murray Milne, 1970
Richard Junge, Diasammlung des Lehrstuhls für Architekturinformatik der TUM
John Frazer, Reptile Flexible Enclosure System, 1970
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